Trump ist 77 Jahre alt. Sollte er bei der Präsidentenwahl am 5. November gewinnen, wäre er beim Amtsantritt im Januar 78 Jahre alt. Trump wäre dann sogar noch einige Monate älter als der derzeitige Präsident Joe Biden bei dessen Amtsantritt. Und der zog damals schon als ältester Präsident überhaupt ins Weiße Haus ein.
Trump brüstet sich zwar stets mit bester Gesundheit. Doch seine Gesundheitschecks während seiner Zeit im Weißen Haus offenbarten Fettleibigkeit und Herzprobleme. Nicht ausgeschlossen also, dass Haley darauf spekuliert, dass Trump noch aus gesundheitlichen Gründen ausfällt.
Und dann sind da noch die juristischen Probleme des Republikaners. Darunter sind vier Strafverfahren - unter anderem wegen seiner Versuche, das Wahlergebnis der Präsidentenwahl 2020 zu kippen. Rein theoretisch könnte Trump aber sogar aus dem Gefängnis regieren. Hinzu kommt, dass die Mühlen der Justiz langsam mahlen. Eine mögliche Verurteilung vor der Wahl ist unwahrscheinlich.
Steht noch die Frage aus, ob Trump von der Vorwahl der Republikaner ausgeschlossen werden könnte. Seine Gegner hatten geklagt und argumentiert, Trump habe wegen seiner Rolle beim Sturm auf das US-Kapitol sein Recht verspielt, erneut als Präsident zu kandidieren. Das Oberste Gericht der USA beschäftigt sich am 8. Februar mit der Frage.
Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass Trump ausfällt, wäre es Haleys Chance, diese Lücke zu füllen. Dann ist sie aber auf die Unterstützung der Trump-Anhänger in der Partei angewiesen. Zwar hat Haley den 77-Jährigen zuletzt recht deutlich angegriffen - etwa wegen seines Alters. Bisher ist sie aber davor zurückgeschreckt, ihn wegen seiner Lügen über angeblichen Wahlbetrug klar und deutlich zu verurteilen. Denn damit würde sie seine extremen Anhänger verprellen.
Darüber, wen Trump zu seinem Kandidaten oder seiner Kandidatin für das Vizepräsidentenamt machen könnte, wird in den USA bereits fleißig spekuliert. Es fallen die Namen ultraradikaler Trump-Fans, die dem Republikaner treu ergeben sind. In der Regel versuchen Präsidentschaftskandidaten mit ihrem sogenannten Running Mate aber jemanden an ihre Seite zu holen, der Wählergruppen anspricht, die sie selbst eher nicht erreichen.
Aus dieser Logik heraus wäre Haley die perfekte Kandidatin. Sie ist eine Frau, Tochter indischer Einwanderer und gilt als gemäßigter als Trump. Im moderaten Ostküstenstaat New Hampshire konnte sie bei der Vorwahl passable 43 Prozent der Stimmen für sich gewinnen, Trump kam auf 54 Prozent. Das Rennen hat noch einmal deutlich gemacht, dass Haley besonders bei gemäßigteren Wählerinnen und Wählern gut ankommt. "Es scheint mir, dass Trump sie fast als Vizepräsidentin wählen muss", sagte der Meinungsforscher und Politikstratege Mark Penn jüngst in einem Interview mit "Politico".
Doch Trump ist für seinen großen Stolz bekannt. Ob er Haley die verbalen Attacken der vergangenen Wochen vergeben würde, ist offen. Er könnte auch fürchten, dass die ehemalige Gouverneurin von South Carolina nicht loyal genug ist oder ihm die Schau stehlen könnte. Sie habe selbst als Trumps US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen eine "gewisse Bereitschaft" gezeigt, sich dem Weißen Haus zu widersetzen, merkt die "Washington Post" an.
Und Haley? Sie hat ausgeschlossen, Trumps Vize zu werden. Aber das ist im Wahlkampf kaum verwunderlich. Haley hatte einst auch ausgeschlossen, sich für die Präsidentschaftskandidatur zu bewerben, sollte Trump antreten.
Umfragen zeigen, dass viele republikanische Haley-Unterstützer bei einer Neuauflage des Rennens zwischen Trump und Biden nicht für Trump stimmen würden, sondern für den Demokraten Biden. Würde Haley als unabhängige Kandidatin ins Rennen gehen, könnte sie Trump die notwendigen Stimmen für einen Sieg gegen Biden kosten. Es ist unwahrscheinlich, dass Haley das erreichen will.
Anders als etwa die von ihrer eigenen Partei geschasste Republikanerin Liz Cheney hat Haley nie den Wunsch geäußert, eine erneute Präsidentschaft Trumps mit aller Macht verhindern zu wollen. Ihr politisches Feindbild ist Biden. Dennoch dürfte auch Trump um den Umstand wissen, dass Haley ihn um einen Sieg bringen könnte. Und das gibt ihr Macht.
In den USA kann eine Person zwei Amtszeiten lang Präsident sein, egal ob diese aufeinander folgen oder nicht. Das heißt: Sollte Trump die Wahl im November gewinnen, könnte er danach nicht noch einmal antreten. Wäre Haley Trumps Vizepräsidentin, würde sie das zur natürlichen Nachfolgerin Trumps für das Weiße Haus machen.
Doch Trump könnte bei der Wahl im November auch gegen Biden verlieren. Dann wäre es besser für Haley, wenn sie nicht als Running Mate mit der Niederlage in Verbindung gebracht würde. Sollte sie vor der Wahl nicht in sein Lager überwechseln, wäre eine Niederlage Trumps Haleys "Ich hab's euch ja gesagt"-Moment, schreibt Elaine Kamarck von der US-Denkfabrik Brookings. Haley könnte dann den Weg für einen Generationswechsel in der republikanischen Partei nach Trump ebnen - und würde sich für eine Kandidatur 2028 empfehlen.
Doch welche Strategie Haley auch wählt - am Ende entscheidet womöglich nicht sie selbst, wie lange sie an ihrer Bewerbung festhalten kann. Denn in den USA bestimmt Geld den Wahlkampf. Sollten Haleys Großspender das Vertrauen in sie verlieren, ist das Rennen für sie gelaufen. Das dürfte sich wohl spätestens nach der Vorwahl in ihrem Heimatbundesstaat South Carolina Ende Februar zeigen.
Auch in dem konservativen Südstaat führt Trump mit Abstand. Sollte Haley dort eine empfindliche Niederlage einfahren, könnte ihr das über den Vorwahlkampf hinaus politisch schaden.