
Das Thema sei ein heißes Eisen in der Nato: "Gestern erst", berichtete Skabajewa händereibend, "haben die Unterstützerstaaten der Ukraine in der mittlerweile 17. Ramstein-Runde darüber gesprochen." Tatsächlich gerät mit der Wahl von Wilders die im Werden begriffene "F16-Koalition" innerhalb der Nato ins Wanken. Neben den Niederlanden hatten auch Dänemark und Belgien zugesagt, die von Kiew seit Langem gewünschten F16-Kampfflugzeuge zur Verfügung zu stellen.
Doch Wilders lehnt nicht nur die Lieferung von Kampfflugzeugen ab. Er zieht generell die Unterstützung der Ukraine durch EU und Nato in Zweifel. Dies entspricht der seit Langem gepflegten Pro-Putin-Linie des rechts-extremen Niederländers. Wilders warb stets dafür, die 2014 von der EU verhängten Sanktionen gegen Moskau wegen der russischen Annexion der Krim wieder aufzuheben.
Zwar ging Wilders im jüngsten Wahlkampf etwas mehr auf Distanz zu Putin. Gründe für den von Putin am 22. Februar 2022 befohlenen Angriffskrieg auf die Ukraine jedoch sucht Wilders immer wieder im Westen. Bei einer Russlandreise im Jahr 2018 sprach sich Wilders gegen eine "hysterische Russophobie" aus – und übernahm damit bis in Vokabular hinein die Linie des Kreml. Dass sich Wilders in Moskau eine niederländisch-russische Freundschaftsnadel ansteckte, stieß auf Kritik bei Hinterbliebenen der MH17-Katastrophe. Wilders konterte, er trage die Nadel "mit Stolz".
Am 17. Juli 2014 war ein in Amsterdam gestartetes Passagierflugzeug der Malaysia Airlines über dem Osten der Ukraine von einer russischen Luftabwehrrakete des Typs Buk M1 getroffen worden, 298 Menschen starben. Ein niederländisches Strafgericht sah nach jahrelangen Ermittlungen drei ehemals hochrangige pro-russische Separatisten als Schuldige an und verurteilte sie in Abwesenheit zu lebenslanger Haft.
Für Putin ist es wie ein Sechser im Lotto, dass sein wichtigster Unterstützer in den Niederlanden bei der Wahl zur stärksten Kraft des Landes wurde. Dies ergab sich allerdings nicht rein zufällig: Der Terrorangriff der Hamas auf Israel sechs Wochen vor der Wahl gab den anti-islamischen Aussagen von Wilders plötzlich neue Zugkraft. Meinungsforscher sagen, Wilders habe die Wahl nach einer langen Phase der Uneindeutigkeit auf den letzten Metern gewonnen. Er selbst zeigte sich ungläubig angesichts der hohen Zustimmung am Wahlabend: "Ich glaube, ich muss mich kneifen."
Für Zuschauer des russischen Staatsfernsehens indessen kommen solche globalen psychologischen Kettenreaktionen nicht ganz überraschend. Über den Terrorangriff der Hamas und den nachfolgenden Bodenkrieg Israels in Gaza hatte sich Russia-1-Kommentatorin Skebejewa bereits zu Beginn des Monats auffallend orakelhaft und schulmeisterlich zugleich geäußert: "Das ist der große Zerfall, das sind genau die Prozesse, von denen unser Präsident spricht."
Der am 7. Oktober, Putins Geburtstag, gestartete Hamas-Überfall auf Israel hat mittlerweile in allen freien Gesellschaften der Erde messbar zu neuer Unruhe und zu neuer Unsicherheit geführt. Verlierer sind überall die politisch mittigen Regierenden, Gewinner sind die Extremisten und Nationalisten. Immer mehr Menschen in den Demokratien rufen angesichts immer neuer Krisen nach dem starken Mann. Alles Internationale, Multikulturelle und Komplizierte wird aufgegeben, stattdessen wird, von unzufriedenen Rechten wie von unzufriedenen Linken, die einfache Lösung gefordert.
Der neue Krieg in Nahost hat in den USA nach aktuellem Stand der Dinge einen Sieg Trumps bei der Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 wahrscheinlicher gemacht. Die Kritik am Vorgehen Israels im Gazastreifen wächst derzeit laufend weiter – und führt mittlerweile dazu, dass rechnerisch relevante Gruppen sich von US-Präsident Joe Biden abwenden. Dazu zählen muslimische und arabischstämmige Wählerinnen und Wähler, aber auch Menschen mit Wurzeln in anderen Teilen des globalen Südens. Hinzu kommt eine unabhängig von Religion und Herkunft nachlassende Unterstützung für Biden unter jungen Leuten.
Nach einer "New York Times"/Siena-College-Umfrage liegt Biden in fünf der sechs wahlentscheidenden Swing States hinter Donald Trump. Arizona, Georgia, Nevada, Pennsylvania und Michigan gehen nach aktuellem Stand an Trump, nur in Wisconsin hat Biden noch einen knappen Vorsprung. Nach der jüngsten landesweiten Umfrage von NBC News ist die Zustimmungsrate von Biden auf den niedrigsten Stand seiner Präsidentschaft gesunken – wobei eine Mehrheit der Wähler seinen Umgang mit der Außenpolitik und dem Israel-Hamas-Krieg kritisiert.
Die "Erosion für Biden" ist laut NBC am deutlichsten bei Wählern im Alter von 18 bis 34 Jahren, "von denen satte 70 % Bidens Umgang mit dem Krieg missbilligen". Eine Umfrage von CNN/SRRS zeigt: US-Bürgerinnen und -Bürger halten Joe Biden zwar für ehrlicher, vertrauenswürdiger und gesetzestreuer. Donald Trump wird jedoch als "besserer Weltpolitiker" angesehen.
Die Ukraine findet seit dem 7. Oktober in den weltweiten Nachrichten nur noch auf den hinteren Plätzen statt – wenn überhaupt. Dies wird nach Putins Kalkül in den kommenden Monaten zweierlei bewirken: Nach der Aufmerksamkeit für die Ukraine wird auch die Unterstützung für die Ukraine nachlassen. Bislang konnten westliche Politiker und Politikerinnen Waffenhilfe ebenso wie humanitäre Hilfsleistungen für die Ukraine mit den von dort kommenden furchtbaren Bildern begründen. Diese Bilder aber geraten jetzt in Konkurrenz zu anderen, nicht minder furchtbaren Bildern aus dem Nahen Osten.
Eine sich abschwächende Hilfe aus dem Westen wird in der Ukraine selbst zu Frustration und Zwist führen. Der Chef des ukrainischen Auslandsgeheimdienstes, Oleksandr Lytvynenko, warnt bereits vor einer "internen Destabilisierung der Ukraine". Für Putin sei dies nur ein Schritt auf dem Weg zu viel größeren Zielen. Der Kremlherr plane nichts Geringeres als "die globale Neuverteilung der Welt" und glaube, dass dieser für den Westen aufreibende Prozess 10 bis 15 Jahre dauern werde.
Putin agiert mit einer Strenge und Konsequenz, die nach Ansicht von Kreml-Kennern im Westen nach wie vor unterschätzt wird. Russlands Staatschef verweist auf die Leidensfähigkeit seines Volkes: Die Russen seien, anders als die verweichlichten westlichen Gesellschaften, an Einschränkungen und Verzicht gewöhnt. Konservative in Moskau planen ein strengeres Abtreibungsrecht, damit auch für künftige Kriege genug junge Männer zur Verfügung stehen. Russland steigere zudem seine Rüstungsproduktion derzeit exponentiell, sagen Beobachter. Nach seiner für März 2024 vorbereiteten Wiederwahl werde Putin vermutlich die Zügel noch weiter anziehen und eine Generalmobilmachung verkünden.
Arbeitet inzwischen die Zeit für Putin? "Moskau gewinnt die Partie an jedem Tag, an dem wir viel zu wenig Munition produzieren, an dem die US-Wahl näher rückt und an dem die Ukraine weiter zerstört wird", warnt Janis Kluge, Russland-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. In Moskau werde derzeit "eher Morgenluft gewittert als nach Luft geschnappt".
Man kann dann acuch den Tweet von Victor Orbán pfiffig oder frech finden. Oder sogar bedrohlich. Jedenfalls hat sich der ungarische Regierungschef etwas einfallen lassen, als er Geert Wilders, seinem illiberalen niederländischen Bruder im Geiste, im Netzwerk X gratulierte. Die Winde des Wandels seien wieder da, schrieb Orbán und nutzte eine optische Anspielung an den "Scorpions"-Hit "Wind of Change" aus dem Jahr 1990. Anders als damals aber soll der Wandel, der Orbán vorschwebt, zu weniger Freiheit führen – und zu mehr Macht für den Kreml.
Orbán sieht in Wilders den lange ersehnten Mitkämpfer für ein Projekt, bei dem Ungarn, wenn die Niederlande mitziehen, im Jahr 2024 endlich nicht mehr innerhalb der EU isoliert wäre: Orbán will nicht nur die Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen, sondern auch den mittlerweile angestrebten Weg Kiews in Richtung EU-Mitgliedschaft blockieren.
Der Ungar meint es ernst. Am 21. November drohte er in einem Brief an den EU-Ratspräsidenten Charles Michel damit, gegen den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine ein Veto einzulegen. Dies könnte die von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angeschobenen Prozesse dauerhaft lähmen – und die Europäische Union weltpolitisch blamieren.
Genau dies nimmt Orbán in Kauf – wissend, das die Aussicht darauf Putin gefällt und nützlich sein könnte für die Vielzahl bereits laufender und auch neuer ungarisch-russischer Geschäfte. Ungarn lässt sich nicht nur weiterhin fossile Energie aus Russland liefern, sondern treibt auch neue nukleare Deals voran. So wurde am 14. November 2023 mit dem russischen Atomkonzern Rosatom ein Abkommen über die Erweiterung des ungarischen Atomkraftwerks Paks unterzeichnet.
Der neue slowakische Premierminister Robert Fico sagte bei seinem Besuch in der Tschechei diese Woche, er betrachte den Krieg zwischen der Ukraine und Russland als einen eingefrorenen Konflikt, der nicht durch Waffenlieferungen an die ukrainischen Streitkräfte gelöst werden könne. Fico beendete die Militärhilfe seines Landes für die Ukraine, nachdem seine neue Regierung am 25. Oktober vereidigt worden war. Nach einem Treffen mit seinem tschechischen Amtskollegen Petr Fiala am Freitag in Prag sagte er, er würde es vorziehen, wenn die russische und die ukrainische Seite an einem Verhandlungstisch säßen. Er sagte nicht, wie man das erreichen kann.
Die Tschechische Republik bzw. Tschechien ist ein überzeugter Unterstützer der Ukraine und hat ihr schwere Waffen und andere Waffen zur Verfügung gestellt. "Es besteht kein Zweifel, dass wir zu einigen Themen unterschiedliche Ansichten haben", sagte der Ministerpräsident Petr Fiala daraufhin.
Der Krieg in Nahost treibt, stärker noch als der Ukraine-Krieg, einen Keil zwischen den Nato-Staat Türkei und die übrigen Mitglieder des Bündnisses. Der Moment, in dem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf offener Bühne die Hamas als Befreiungsbewegung bezeichnete, wird allen Bündnispartnern als eine dunkle Stunde der Allianz in Erinnerung bleiben.
Einmal mehr erweist sich, allen offiziellen Beteuerungen zum Trotz, nun doch wieder das Religiöse als Trennlinie innerhalb der Allianz. Weil Israels Bodenkrieg in Gaza neue Aufregungen in der Türkei triggerte, ist plötzlich die von Erdogan nach langem Hin und Her schon zugesagte Zustimmung Ankaras zum Nato-Beitritt Schwedens erneut zur Hängepartie geworden.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte gehofft, Schwedens Beitritt endlich offiziell besiegeln zu können, bei einer Tagung der Außenminister der Allianz am 28. und 29. November in Brüssel. Doch auch an diesem Plan zerren jetzt die Kräfte des von "Russia-1"-Kommentatorin Olga Skabejewa erwähnten "großen Zerfalls". Erdogan ließ wissen, dass bis dahin das schwedische Beitrittsantrag in Ankara noch nicht ratifiziert sein werde. Zuvor hatte der Auswärtige Ausschuss des türkischen Parlaments die Abstimmung über Schwedens Nato-Beitritts abermals verschoben, "um weitere Gespräche zu diesem Thema zu führen".
Das Parlament von Ungarn teilte unterdessen mit, das Thema Schweden sei auch in Budapest "noch nicht auf der Agenda". In Nato-Kreisen heißt es, das Bündnis mache sich beim Umgang mit Schweden, das schon im Mai 2022 den Beitrittsantrag eingereicht hatte, zunehmend lächerlich. Man spiele Putin auf diese Weise in die Karten, inzwischen sogar mehr, als der Mann im Kreml es selbst erwartet habe.

Registrierung und Gründung einer maltesischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Putin selber schwingt sich unterdessen zum Friedensstifter auf. Moskau sei "zu Gesprächen bereit", um die "Tragödie" des Krieges in der Ukraine zu beenden, machte jedoch auf dem virtuellen G20-Treffen ein Kiewer Gesetz verantwortlich, das Gespräche verbietet. Putin nutzte seine Rede beim Treffen, um zu sagen, dass man darüber nachdenken müsse, wie man die Tragödie des Konflikts in der Ukraine beenden könne. Russland habe sich nie geweigert, an Friedensgesprächen mit der Ukraine teilzunehmen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unterzeichnete im Oktober 2022 ein Dekret, in dem er die Aussicht auf ukrainische Gespräche mit Putin offiziell für "unmöglich" erklärte, aber die Tür für Gespräche mit Russland offen ließ.
Kann Putin angesichts dieser für ihn guten Nachrichten sein Glück kaum fassen? Falls er glaubt, er träume, kann er es machen wie Wilders – und sich kneifen.