Bei den erfolgsabhängigen Boni soll allein Vorstandschef Richard Lutz den Recherchen zufolge Anspruch auf mehr als 1,26 Millionen Euro haben. Danach folgen Personalchef Martin Seiler mit immerhin noch 736.000 Euro und Infrastrukturvorstand Berthold Huber mit 699.000 Euro an Tantiemen.
Satte Zahlungen für diejenigen, die für Unpünktlichkeit und unzufriedene Fahrgäste hauptverantwortlich sind, möge man meinen. Wie sieht es aber im Vergleich mit anderen Top-Managerinnen und -Managern in Deutschland aus?
Setzt man die Werte in Bezug zu dem, was manche anderen Top-Führungskräfte in der Wirtschaft verdienen, bewegen sich die Größenordnungen bei der Bahn noch in einem gewissen Rahmen. So strich etwa Deutschen-Bank-Chef Christian Sewing laut der jüngsten Auswertung der DSW und der Technischen Universität München aus dem August für das vergangene Jahr eine Gesamtvergütung von rund 9,2 Millionen Euro ein. Auf Rang zwei der Dax-Konzerne lag VW-Chef Oliver Blume mit etwa 8,8 Millionen Euro, für seinen Parallel-Job als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen-Tochter Porsche erhielt dieser noch weitere 500.000 Euro. Die Chefin des Pharmariesen Merck, Belén Garijo, kam mit 8,3 Millionen Euro auf Platz drei.
Im Durchschnitt erhielten die obersten Managerinnen und Manager der 40 deutschen Börsenschwergewichte 2022 mit 3,34 Millionen Euro 8,4 Prozent weniger als im Jahr davor. Zum Vergleich: Der frühere VW-Chef Martin Winterkorn war vor dem Diesel-Skandal in bonusstarken Jahren inklusive Altersversorgung auf bis zu 17 Millionen Euro Gesamtsalär gekommen.
Ärgern dürfte Verbraucher und Normalverdiener nun allerdings insbesondere, dass es im Fall der Bahn um ein Unternehmen geht, das durch Sanierungsstau und Streckensperrungen, Verspätungen und Ausfälle, die berüchtigten sonstigen "Störungen im Betriebsablauf" und zuletzt auch durch Arbeitsniederlegungen des Personals jede Menge Frust auslöste. Dem Bericht zufolge sollen außerdem 245.000 Euro an Bonusnachzahlung auf Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla entfallen, der vor seinem Ausscheiden aus dem Vorstand im Frühjahr 2022 ausgerechnet für die Infrastruktur zuständig war.
Der Aktionärsschützer Marc Tüngler erinnert an die eigentlichen Ziele eines Dienstleisters wie der Deutschen Bahn. "Das, worauf es bei der Bahn doch vor allem ankommen sollte, sind Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit", sagte er. Auch wenn die DB kein börsennotierter Konzern sei, gelte es dies für ihn ganz klar herauszustellen, erklärte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).
"Dass die Verbindungen möglichst pünktlich sind und sich die Passagiere wohl fühlen, sollte in der Berechnungspraxis der Managerbezüge bei der Bahn so dominant sein, dass es Auswirkungen hat, wenn diese Ziele verfehlt werden", forderte Tüngler. "Das muss dann durchschlagen. Und zwar eher in einen Malus-Bereich – nicht als Verrechnung mit anderen und übertüncht durch besser ausgefallene Faktoren, die auch noch in die Gehälter einfließen."
Laut einem internen Bahn-Papier, auf das sich SZ, NDR und WDR unter anderem berufen, flossen die Faktoren Pünktlichkeit und Stimmung der Fahrgäste durchaus in die Berechnung der Boni ein – und das Management fiel hierbei in puncto Zielerreichung offenbar tatsächlich durch. Jedoch sollen die schlechten Resultate anschließend gegengerechnet worden sein mit positiven Bewertungen bei den Faktoren Stimmung in der Belegschaft und Frauenförderung, Finanzlage des Konzerns sowie persönliche Leistung. Auch für das Einsparen von CO2 als Klimaschutzmaßnahme gab es demnach gute Noten.
"Der Bahn-Vorstand muss gut verdienen – wenn er denn einen guten Job macht", betonte Tüngler. "Aber das Vergütungssystem sollte so austariert sein, dass auch die richtigen Parameter zur Messung guter Arbeit herangezogen werden", unterstrich der Experte, der Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex ist. Diese hat Standards für verantwortungsvolle und transparente Unternehmensführung definiert. "Da, wo es am meisten brennt – bei der Bahn speziell die Pünktlichkeit –, muss man das auch ins System einbeziehen. Die gegenseitige Verrechnung von guten und schlechten Werten verwundert mich, jedenfalls in dieser Form, doch sehr."
Pünktliche Züge und zufriedene Kunden müssten ein "dominantes Gewicht" haben. Man dürfe indes nicht nur den Managern die Schuld geben, nur wenn diese jetzt profitierten. "Da hat der Aufsichtsrat einen Fehler gemacht, denn der ist zuständig für die Festlegung der Bonusregeln", so Tüngler. Grundsätzlich sollten die variablen Bestandteile mehr ausmachen als "risikolose, fixe" Anteile – insbesondere, wenn es um langfristig sinnvolle Ziele gehe. "Gerade die Pünktlichkeit lässt sich ja schlecht von heute auf morgen verbessern." Der Effekt der Energiepreisbremsen, die für alle möglichen Firmen galten, müsse zudem aus der Bonuskalkulation herausgerechnet werden.
Auch der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge von der Technischen Universität München äußerte sich kritisch. "Ich bin nicht grundsätzlich gegen Boni, auch nicht gegen hohe Boni", sagte er im Interview des Senders ntv. "Aber in diesem Fall ist es recht offensichtlich, dass die Leistung nicht erbracht wurde", meinte der Wissenschaftler mit Blick auf Themen wie Pünktlichkeit und Streckenausbau. Die Zahlungen seien damit nicht nur unglücklich: "Das ist eigentlich nicht zu verstehen" – vor allem, wenn man sich den Standard des Zugverkehrs in manchen anderen Ländern ansehe. "Hier liefert die Bahn nicht." Man dürfe überdies den Klimaschutz "nicht ausspielen gegen die Erbringung von Leistungen wie Zufriedenheit oder Pünktlichkeit". Und für die aktuellen Warnstreiks gelte: "Es ist schwer zu vermitteln."
An den Bezügen im Top-Management gibt es immer wieder Kritik. Die Unternehmen begründen die Höhe oft damit, im internationalen Vergleich für Führungskräfte attraktiv bleiben und die "Marktverhältnisse" mit abbilden zu müssen. Inzwischen werden häufig auch ökologische und soziale Faktoren bei der Berechnung berücksichtigt.
Den weitaus größten Anteil machen in der Regel nicht die festen Grundgehälter, sondern die variablen Bonuszahlungen aus. Diese sind in der Regel an mehreren Kriterien gekoppelt, die sich einerseits auf die Entwicklung im aktuellen Bezugsjahr ("Jahresbonus") beziehen, aber in vielen Fällen auch einen an mehreren Vorjahren orientierten "Langzeitbonus" umfassen. Hinzu kommen die Rentenansprüche. Werte zwischen einzelnen Jahren sind nur eingeschränkt vergleichbar, wenn die Auszahlung bestimmter Kategorien über mehrere Stufen und Abschläge gestaffelt ist.