Darmanin schrieb weiter, trotz alledem sei die Nacht "dank des entschlossenen Vorgehens der Ordnungskräfte" eine ruhigere gewesen. Premierministerin Élisabeth Borne lobte die Einsatzkräfte: Angesichts der Gewalttätigkeiten zeigten sie beispielhaften Mut, schrieb sie auf Twitter. 45.000 Polizisten und Tausende Feuerwehrleute seien im Einsatz gewesen, um die Ordnung zu schützen.
In Marseille sei die Lage angespannt, aber unter Kontrolle, teilte die Stadtverwaltung am Abend mit. Den ganzen Abend über hätten sich Gruppen gebildet, um Schaden anzurichten, teilte die Präfektur Bouches-du-Rhône laut "Le Parisien" mit. Die Polizei habe versucht, die Menschen mit Tränengas auseinanderzutreiben.
Besonders in Marseille, Lyon und Grenoble wurde die Polizeipräsenz massiv verstärkt. Nachdem in Marseille zuvor eine Waffenkammer geplündert worden war, war die Polizei dort nun mit gepanzerten Fahrzeugen, Hubschraubern und Spezialtruppen im Einsatz.
Auslöser für die Unruhen war der Tod eines Jugendlichen durch einen Polizisten vor einigen Tagen. Der 17-Jährige war am Dienstag in Nanterre am Steuer eines Autos von einer Motorradstreife gestoppt worden. Als der junge Mann plötzlich anfuhr, fiel ein tödlicher Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizisten. Die Beamten hatten zunächst angegeben, der Jugendliche habe sie überfahren wollen. Erst als sich von Medien verifizierte Videobilder des Vorfalls in den sozialen Netzwerken verbreiteten, rückten sie von dieser Darstellung und der angeblichen Tötungsabsicht des Jugendlichen ab. Der Polizist, der für seinen Tod verantwortlich gemacht wird, kam in Untersuchungshaft. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags eingeleitet.
Der Vorfall hatte eine Welle der Gewalt in Frankreich ausgelöst. Am frühen Samstagmorgen hatte Innenminister Darmanin nach einer weiteren Nacht der Gewalt zwar davon gesprochen, dass diese von "geringerer Intensität" gewesen sei als zuvor. Die Zahlen, die er präsentierte, klangen aber wenig beruhigend: 1311 Festnahmen - deutlich mehr als in den Nächten zuvor -, 406 davon allein in Paris, sowie 79 verletzte Polizisten.
Der Jugendliche wurde am Samstagnachmittag in seinem Heimatort Nanterre nahe Paris beigesetzt. Beobachter hatten zuvor befürchtet, dass die Beerdigung erneut Öl ins Feuer gießen könnte. Doch in Nanterre blieb es "Le Parisien" zufolge bis Mitternacht ruhig.
Wegen der Unruhen sagte Präsident Macron seinen Staatsbesuch in Deutschland am Samstag ab. Es wäre der erste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in Deutschland seit 23 Jahren gewesen. Doch die innenpolitische Lage zwingt Macron, in Frankreich zu bleiben.
Auch mehrere Konzerte, Modeschauen und andere Kulturveranstaltungen wurden in Frankreich abgesagt. Busse und Straßenbahnen fahren derzeit nur tagsüber, der Verkauf und das Mitführen von Feuerwerkskörpern und brennbaren Stoffen wurden verboten. Den nationale Notstand rief die Regierung allerdings bislang nicht aus, auch Ausgangssperren wurden nur vereinzelt in kleineren Orten verhängt.
Das Auswärtige Amt hatte am Samstag seine Reise- und Sicherheitshinweise angesichts der Ausschreitungen aktualisiert. Reisende wurden aufgefordert, sich über die jeweilige Lage zu informieren und weiträumig Orte gewalttätiger Ausschreitungen zu meiden. Zudem sollten je nach Reiseziel deutliche Einschränkungen bei der Programmgestaltung einkalkuliert werden, vor allem in den Abend- und Nachtstunden. Das Auswärtige Amt wies darauf hin, in einigen Stadtvierteln und Vororten von Paris sowie auch in anderen größeren Städten Frankreichs sei es heftigen gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Einige Städte hätten nächtliche Ausgangssperren zwischen 21 beziehungsweise 23 und 6 Uhr verhängt. Diese gelte oft nur für Minderjährige unter 16 Jahren.
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