Orbáns Besuch fällt zeitlich mit der Übernahme der rotierenden EU-Ratspräsidentschaft durch Ungarn zusammen. Viele europäische Politiker zeigten sich entsetzt über diesen Schritt, da Ungarn häufig wegen seiner innenpolitischen Fragen zur Rechtsstaatlichkeit und seiner Außenpolitik mit der EU in Konflikt gerät.
Laut Zoltán Kovács, einem Sprecher Orbáns, konzentrierten sich die Gespräche auf Friedensmöglichkeiten und bilaterale Beziehungen. Ukrainische Medien veröffentlichten später Fotos der Gespräche, auf denen Selenskyj und Orbán an einem kleinen Holztisch zu sehen sind. Ob im Anschluss an die Gespräche eine Pressekonferenz geplant ist, war zunächst unklar.
Ungarn steht im Streit mit anderen NATO-Ländern, da es weiterhin enge Beziehungen zu Russland pflegt und sich weigert, Waffen an die Ukraine zu liefern. Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó bezeichnete die Pläne zur Unterstützung der Ukraine als "verrückte Mission".
Der Kreml spielte Orbáns Besuch in Kiew herunter und betonte, dass man nichts von der Reise erwartet habe. Ein Kreml-Sprecher lobte Orbán als einen Politiker, der die Interessen seines Landes energisch verteidige.
Budapest hat seit Kriegsbeginn die Kanäle nach Moskau offen gehalten, und Szijjártó hat mindestens fünf Reisen nach Russland unternommen. Ungarn erklärte, es werde NATO-Entscheidungen zur Unterstützung der Ukraine nicht blockieren, solange es nicht direkt beteiligt sei. Orbán sicherte zudem zu, dass weder ungarische Streitkräfte noch finanzielle Mittel zur Unterstützung der Ukraine eingesetzt würden.
Eine Quelle in Budapest berichtete, dass der Besuch nach langwierigen Verhandlungen über die Rechte der ungarischsprachigen Minderheit in der Ukraine zustande kam. Eine Einigung über die Staatsbürgerschaftsrechte sei in den letzten Wochen erzielt worden, was als Erfolg verkündet werden könne. Skeptiker werfen Orbán jedoch vor, das Thema als Vorwand zu nutzen, um russische Argumente zu verbreiten.
Die Beziehungen zwischen Selenskyj und Orbán waren seit Beginn der Invasion mehrfach konfrontativ. Orbán nahm Selenskyj in eine Liste von "Gegnern" auf, und Selenskyj rügte Orbán persönlich für seine mangelnde Unterstützung. Zuletzt trafen die beiden Staatschefs beim Gipfel des Europäischen Rates im Juni aufeinander.