Der Boykott ist Teil einer großen Solidarisierungsaktion in Schweden. Rund 130 Tesla-Beschäftigte streiken dort inzwischen seit Ende Oktober für einen Tarifvertrag – und viele springen ihnen bei: Die Musiker, die ihre Musik nicht mehr in Teslas spielen lassen wollen, solange die Tesla-Führung nicht nachgibt. Die Maler und Lackierer, die keine Tesla-Lackschäden mehr ausbessern wollen. Die Hafenarbeiter, die keine Teslas mehr entladen. Die Elektriker, die keine Ladestationen mehr warten. Insgesamt ein Dutzend Gewerkschaften unterstützt die Kollegen der IF Metall, die gerade für mehr Rechte der Tesla-Mitarbeiter kämpft. Aber nichts trifft und erzürnt Tesla und seinen Chef Elon Musk so sehr wie der Streik der schwedischen Postboten.
Denn die Angestellten des staatlichen Postunternehmens Postnord weigern sich seit rund einer Woche, Briefe und Pakete an Tesla zuzustellen – und damit auch die Kennzeichen, die Tesla für die Auslieferung seiner Fahrzeuge braucht. "Wie IF Metall und die gesamte schwedische Gewerkschaftsbewegung glauben wir, dass schwedische Tarifverträge auf dem schwedischen Arbeitsmarkt gelten sollten", erklärte Britta Lejon, Vorsitzende der Beamtengewerkschaft ST, zu Beginn des Streiks. Für Tesla bedeutet das faktisch eine Lähmung seines Vertriebs in Schweden, deshalb hat das Unternehmen deutlich reagiert: mit Klagen gegen das Logistikunternehmen Postnord und die schwedische Transportbehörde – indirekt also gegen den schwedischen Staat. Tesla gehen also die Nummernschilder aus. Was er vom Boykott der schwedischen Postbotinnen und ‑boten hält, schreibt er auf seinem eigenen Medium X, vormals Twitter: "Das ist Wahnsinn."
Tatsächlich kollidieren in diesem Streit gerade zwei sehr unterschiedliche Perspektiven auf Welt und Wirtschaft. Für die Gewerkschaften geht es um nicht weniger als die Verteidigung des "schwedischen Modells". Der erste landesweite Tarifvertrag sei 1905 unterzeichnet worden, schreibt die IF-Metall-Vorsitzende Marie Nilsson in einem Beitrag für das "Aftonbladet" stolz. Seitdem sei es "eine schwedische Tatsache", dass er nicht nur den Beschäftigten, sondern auch den Unternehmen zugutekommt. "Deshalb müssen wir verhindern, dass sich Unternehmen in Schweden niederlassen, ohne die Spielregeln zu akzeptieren", fordert Nilsson. Tarifverträge sind in Schweden tatsächlich noch die Regel: Knapp 90 Prozent der Beschäftigten arbeiten dort noch tarifgebunden, die Quote ist eine der höchsten in Europa. Entsprechend mächtig sind die Gewerkschaften in Schweden – bislang. Ein Tesla-Sieg wiederum, prophezeit der Ökonom Christer Thörnqvist von der Hochschule Skövde, käme einem "existenzbedrohenden Präzedenzfall" gleich.
Auf der anderen Seite ist da der US-Autokonzern, der sich global gegen den Einfluss von Gewerkschaften auf seine Werke wehrt. Die Bedingungen seien ohnehin schon sehr gut, argumentieren Tesla und andere US-Unternehmen für gewöhnlich – so auch hier: "Wir bieten bereits gleichwertige oder bessere Vereinbarungen als die Tarifverhandlungen an und sehen keinen Grund, eine andere Vereinbarung zu unterzeichnen", erklärten Vertreter von Tesla in Schweden gegenüber der Nachrichtenagentur TT. Den Kampf gegen die Gewerkschaften führt Tesla in den USA mit großer Verve, auch in Deutschland liegt der Konzern mit ihnen im Streit um Arbeitnehmerrechte. Entsprechend gering dürfte die Neigung sein, sich ausgerechnet im – aus US-Sicht – kleinen Schweden den Gewerkschaften zu beugen, zumal es dort ohnehin lediglich um Beschäftigte in Werkstätten geht.
Der Streit hat schon jetzt erhebliche Auswirkungen – auf die Kunden. In "Svenska Dagbladet" zum Beispiel beklagt sich Tibor Blomhäll, Tesla-Fahrer und Vorsitzender des Tesla-Clubs Schweden, dass er sich mit seinem Auto durch die Maßnahmen der Gewerkschaft regelrecht stigmatisiert fühle. Ihn stört vor allem die Weigerung der Lackierer, sich noch seines Teslas anzunehmen: "Viele von uns fragen sich: Was haben wir falsch gemacht?", sagt er. "Sie nehmen uns Kunden als Geiseln und verwechseln die Firma Tesla mit uns Besitzern." Blomhäll legt übrigens Wert auf die Feststellung, dass er kein Geld von Tesla erhält.
Entscheiden müssen in dem Streit nun die Gerichte. Die Klage Teslas gegen Postnord liegt beim Amtsgericht Solna, das dem Postunternehmen nun bis Freitag Zeit für eine Stellungnahme gab. Einen Teilsieg errang der Autobauer bei der Klage gegen die staatliche Transportbehörde: Das Amtsgericht Norrköping entschied, dass Tesla bis zur endgültigen Entscheidung die Möglichkeit bekommen müsse, sich seine Nummernschilder selbst abzuholen.
Die Gewerkschaften allerdings sind optimistisch, dass sie sich am Ende in diesem Streit durchsetzen werden – auch mit auf den ersten Blick vielleicht eher randständig wirkenden Protestmethoden: "Wir glauben, dass eine Maßnahme, die auf den eigentlichen Inhalt von Teslas Geschäft, das Fahrerlebnis, abzielt, auf lange Sicht ein wichtiger Weg sein kann, um das Unternehmen zu beeinflussen", schreibt Mattias Qvarsell von der Musikergewerkschaft. "Denn was wäre ein Roadtrip ohne gute Musik?"