Zehntausende Nutztiere sind ertrunken. Ihre Kadaver müssen schnell eingesammelt und verbrannt werden. In der Region droht Seuchengefahr. Die Behörden warnen die Bewohner davor, Leitungswasser zu trinken oder zum Kochen zu verwenden. Aber vielerorts fließt ohnehin nichts mehr aus dem Hahn, denn die Flut hat die Wasserleitungsnetze zerstört. In zahlreichen Ortschaften gibt es keinen Strom. Bisher hat man 15 Tote geborgen. Aber die Opferzahl könnte weiter steigen, wenn das Wasser sich zurückzieht und die Bergungsmannschaften die jetzt noch überfluteten Dörfer erreichen.
Die beiden wichtigsten Nord-Süd-Verkehrsachsen des Landes, die Autobahn und die Eisenbahnstrecke von Athen zum nordgriechischen Thessaloniki, sind immer noch überflutet. Die Bahntrasse muss auf einer Länge von 40 Kilometern völlig neu gebaut werden. Die Reparaturen werden viele Monate, wenn nicht Jahre dauern. Allein die Schäden an der Infrastruktur werden auf über 2 Milliarden Euro geschätzt. Auch die Stromproduktion ist betroffen: Die Photovoltaikanlagen in den Hochwassergebieten lieferten bisher 17 Prozent des griechischen Solarstroms. Jetzt sind viele Anlagen abgesoffen.
Noch gar nicht zu bemessen sind die Verluste für die Landwirtschaft. Viele Bauern haben alles verloren: Haus, Hof, Herden und Maschinen. Sie stehen vor dem Nichts. Die fruchtbare thessalische Ebene war das größte zusammenhängende Anbau- und Viehzuchtgebiet des Landes. Hier wurden 70 Prozent der Zuckerrüben, über 50 Prozent der Birnen, Mandeln und Tomaten produziert. Ein Drittel des in Griechenland geernteten Weizens, der Hülsenfrüchte, der Baumwollernte sowie der Fleischproduktion kamen aus dieser Gegend. Bis die Felder wieder bebaut werden können, könnten Jahre vergehen.
Die Flut bedeutet massive Ernteausfälle, die für die griechischen Verbraucher zu höheren Preisen führen werden. Viele Landwirte, Kleinunternehmer und Industriebetriebe der Region könnten auch Schwierigkeiten bekommen, ihre Darlehen zu bedienen. Damit drohen den Banken neue Kreditausfälle. Finanzmarktexperten schätzen diese Kreditrisiken auf rund 2 Milliarden Euro. Erste Schätzungen sprechen davon, dass die Flutkatastrophe Kosten von rund 6 Milliarden Euro verursachen wird. Das wären 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach dem griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis schnelle Finanzhilfen. 2,25 Milliarden Euro könne die Kommission bereitstellen.
Unterdessen wachsen bei den Betroffenen die Verzweiflung und die Wut. Sie beklagen, dass die Hilfe zu spät und zu chaotisch angelaufen sei. Erst drei Tage nach dem Beginn der Überschwemmungen richtete die Regierung ein Krisenzentrum vor Ort ein. Auch die Armee wurde erst spät eingesetzt. Nach dem schwersten Zugunglück in der Geschichte des Landes im Februar und den verheerenden Waldbränden vom Juli ist dies bereits das dritte Desaster in diesem Jahr. Viele Menschen fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. Das könnte Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten sein, die seit den Wahlen vom Juni ohnehin schon mit drei Splitterparteien im Athener Parlament vertreten sind.
Die Katastrophe trifft Griechenland in einer schwierigen Zeit. Das Land ist hoch verschuldet und finanziell immer noch geschwächt. Ab 2024 gelten wieder die während der Pandemie ausgesetzten Regeln des EU-Stabilitätspakts. Das bedeutet Ausgabendisziplin. Griechenland soll im kommenden Jahr einen Primärüberschuss im Haushalt von einem Prozent erwirtschaften, um Schulden abzubauen. Wo das Geld für die Entschädigung der Flutopfer und die Beseitigung der Schäden herkommen soll, ist bisher unklar. An der Athener Börse sorgt die Katastrophe für Verunsicherung. Gerüchte machen die Runde, die Regierung plane eine Sondersteuer auf Bankgewinne, um die die Fluthilfen zu finanzieren.
Das Finanzministerium dementierte zwar nachdrücklich, aber Bankaktien kamen zeitweilig unter starken Druck. Sicher ist: Für die Steuersenkungen, die Premier Mitsotakis für dieses Jahr plante, dürfte es angesichts der Milliardenbelastungen, die auf den Haushalt zukommen, kaum Spielraum geben. Neue Schulden schließt man in Regierungskreisen kategorisch aus. Das könnte Abstriche bei anderen Staatsausgaben bedeuten.
Auch politisch bringt die Flut Griechenland an seine Grenzen. Nach früheren Überschwemmungen wurden vielerorts Maßnahmen zum Hochwasserschutz beschlossen. Das meiste davon blieb wegen schleppender Genehmigungsverfahren auf dem Papier. Auch wurden Gelder offenbar zweckentfremdet oder veruntreut. Die Staatsanwaltschaft beim Areopag, Griechenlands Oberstem Gerichtshof, ermittelt jetzt.
Solche Extremwetterlagen, die Meteorologen mit dem Klimawandel in Verbindung bringen, werden künftig häufiger auftreten. Als im September 2020 der Mittelmeerzyklon "Ianos" über Griechenland hereinbrach, Überschwemmungen auslöste, Straßen und Brücken zerstörte, sprachen Meteorologen von einem "Jahrhundertsturm". Aber nur drei Jahre später kam "Daniel" – mit dreimal stärkeren Regenfällen als "Ianos". Im Piliongebirge bei Volos gingen in nur 20 Stunden 754 Liter Niederschlag pro Quadratmeter nieder, doppelt so viel wie in Athen in einem ganzen Jahr.
Zum Vergleich: Bei der Ahrtal-Flut lagen die Niederschlagsmengen zwischen 100 und 200 Litern pro Quadratmeter. Einen Sturm wie "Daniel" habe es in der Vergangenheit nur einmal alle tausend Jahre gegeben, sagten Wissenschaftler. Dass der nächste Zyklon tausend Jahre auf sich warten lässt, glaubt aber niemand.
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