Die notleidenden Bevölkerung ist nach rund sieben Wochen Krieg völlig zermürbt. Helfer sprechen von einer dramatischen humanitären Krise. Im Süden des Gazastreifens harren rund zwei Millionen palästinensische Zivilisten auf engstem Raum in Notunterkünften aus. Sie waren nach Aufrufen Israels dorthin geflüchtet.
Ein Wiederaufflammen der Kämpfe wird ihre Lage nun noch einmal weiter verschlechtern. Es ist wahrscheinlich, dass sich auch Terroristen unter die Zivilisten gemischt haben. Seit Beginn der Waffenruhe kamen auch mehr Hilfsgüter - mehr als 1000 Lastwagen - in den Gazastreifen als zuvor. Unklar war zunächst, wie viel Hilfe nach Ende der Kampfpause zugelassen wird. Hilfsorganisationen zufolge betrug aber auch die Hilfe in der vergangenen Woche nur einen Bruchteil der benötigten humanitären Lieferungen.
Die internationale Gemeinschaft befürchtet, dass die Zahl der zivilen Opfer nochmals drastisch steigen wird. Nach Angaben der Hamas sollen bereits fast 15.000 Menschen getötet und mehr als 36.000 verletzt worden sein. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Unklar ist auch, wie viele der Opfer Zivilisten sind.
Die Weltgesundheitsorganisation warnt auch vor der massiven Ausbreitung von Krankheiten, die letztlich mehr Tote fordern könnten als die Kämpfe selbst. Sollte Israels Armee den Süden des Gazastreifens verstärkt ins Visier nehmen, ist zudem fraglich, wie die Bevölkerung dort geschützt werden kann.
Israel müsse vor der Wiederaufnahme größerer Militäreinsätze humanitäre Pläne zum Schutz der Zivilbevölkerung vorlegen, forderte jüngst US-Außenminister Antony Blinken. In den Plänen sollte etwa genau festgelegt werden, in welchen Gebieten Zivilisten im südlichen und zentralen Gazastreifen sicher seien. Israels Armee veröffentlichte am Freitag nach eigenen Angaben neue Sicherheitszonen für die Zivilbevölkerung.
Israel will die Hamas nach den Terrorangriffen auf israelische Zivilisten am 7. Oktober zerstören, damit von ihr nie wieder eine Bedrohung für die Bewohner Israels ausgeht. Ein Sprecher der Islamistenorganisation drohte bereits damit, die Massaker zu wiederholen. Israel will zudem alle Geiseln aus dem Gazastreifen befreien.
Der einzige Grund, warum die Terrororganisation in den vergangenen Tagen viele der Entführten freigelassen habe, sei der militärische und diplomatische Druck gewesen, den Israel auf sie ausgeübt hätte, sagte Regierungssprecherin Tal Heinrich dem Fernsehsender CNN. Die USA, aber auch Deutschland haben Israels Ablehnung eines langfristigen Waffenstillstandes bisher unterstützt.
Nach Aussagen des Vermittlers Katars laufen die Verhandlungen zu einer möglichen Fortsetzung der Feuerpause im Gaza-Krieg trotz der erneuten Kämpfe weiter. Die Wiederaufnahme der Kämpfe erschwerten die Gespräche jedoch. Grundsätzlich hatten sich Israel und die Hamas vorletzte Woche auf einen Zeitrahmen für die Feuerpause von maximal zehn Tagen geeinigt. Das Abkommen lief jedoch bereits nach sieben Tagen aus. Zuvor war es zwei Mal verlängert worden.
Die Verhandlungen über eine weitere Feuerpause könnten auch dadurch erschwert werden, dass die Hamas nun im Gegenzug für die Freilassung der verbleibenden, zum Großteil männlichen Geiseln deutlich höhere Forderungen stellen dürfte. Ein weiteres Problem ist, dass nach Angaben der US-Regierung nicht alle Geiseln in Hand der Hamas sind. Der Sender CNN berichtete unter nicht namentlich genannten diplomatischen Quellen von schätzungsweise 40 Geiseln, die in der Gewalt anderer Gruppen sind.
Die Hamas ließ bislang 105 Geiseln frei, unter ihnen auch 14 Deutsche sowie etliche Ausländer, die unabhängig vom Abkommen zwischen Israel und der Hamas freikamen. Im Gegenzug entließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen. Es handelt sich dabei um Frauen und Minderjährige, die jüngsten 14 Jahre alt.
Ihnen wurden unter anderem das Werfen von Brandbomben, Brandstiftung oder Messerattacken zur Last gelegt. Israel vermutet, dass sich nun noch rund 145 Geiseln im Gazastreifen befinden. Darunter sind auch noch mehrere Deutsche. Vermittler Katar kann laut Außenamtssprecher Madschid Al-Ansari vom Dienstag die genaue Zahl der verbliebenen Geiseln nicht bestätigen.
Angehörige von Geiseln haben in israelischen und internationalen Medien davon berichtet, dass es nur wenig und an manchen Tagen gar kein Essen gegeben habe. Manchmal hätten die Verschleppten eineinhalb Stunden warten müssen, bis sie zur Toilette durften. Geschlafen hätten sie auf Bänken oder zusammengeschobenen Stühlen.
Die Verwandte eines freigelassenen Zwölfjährigen berichtete, Kinder seien mit der Waffe bedroht worden, damit sie ruhig seien. Der Junge berichtete nach seiner Freilassung demnach, er sei gezwungen worden, Videos des Terrorangriffs auf Israel am 7. Oktober anzuschauen. Er habe zudem die ersten 16 Tage seiner Geiselhaft alleine in einem geschlossenen Raum verbringen müssen.
Enorm, so viel ist sicher, das zeigen zahllose Fotos aus dem Kriegsgebiet. US-Forschern zufolge wurden seit Kriegsbeginn wohl zwischen 67.000 und 88.000 Gebäude beschädigt. Im nördlichen Gazastreifen wurden demnach 50 bis 60 Prozent der Gebäude beschädigt.
Israels langfristiger Plan für den Gazastreifen ist unklar. Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach davon, dass Israel auch nach einem Sieg über die Hamas weiter eine Rolle bei der Sicherung des Gebiets spielen müsse. Gleichzeitig warnen unter anderem die USA, der wohl wichtigste Verbündete Israels, ausdrücklich vor einer erneuten Besatzung des Gazastreifens.
Die US-Regierung will, dass die Palästinensische Autonomiebehörde neben dem Westjordanland künftig auch wieder für den Gazastreifen verantwortlich sein wird. Die langfristige Hoffnung ist eine Zweistaatenlösung, also ein friedliches Nebeneinander von Israel und einem palästinensischen Staat - was derzeit unrealistisch erscheint.