Brüssel, 19. Juli 2024 – Ursula von der Leyen wurde nach einer entscheidenden Abstimmung im Europäischen Parlament für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der Europäischen Kommission bestätigt. Ihre Wiederwahl mit 401 zu 284 Stimmen spiegelt die Unterstützung für ihre proeuropäische Agenda wider, während sie gleichzeitig die Herausforderungen einer polarisierten politischen Landschaft in Europa meistert.
Von der Leyen bekräftigte in ihrer Antrittsrede ihre Verpflichtung zum europäischen Green Deal, der auch in ihrer ersten Amtszeit ein zentraler Fokus war. Sie versprach, die Treibhausgasemissionen der EU bis 2040 um 90 % zu reduzieren. Dies ist ein ehrgeiziger Plan, der die Mitgliedstaaten dazu anregen soll, ihre Klimapolitiken erheblich zu verstärken, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Umweltorganisationen wie das Climate Action Network Europe begrüßten das Engagement, äußerten jedoch die Sorge, dass die vorgeschlagene Reduktion um 90 % nicht ausreichen könnte. Sie fordern eine Reduktion um 95 %, basierend auf wissenschaftlichen Empfehlungen, um sicherzustellen, dass die EU ihre Klimaziele erreicht und gleichzeitig die globale Erwärmung auf ein Minimum begrenzt.
Im Mittelpunkt von der Leyens Agenda für ihre zweite Amtszeit steht der „Clean Industrial Deal“, der innerhalb der ersten 100 Tage umgesetzt werden soll. Diese Initiative zielt darauf ab, die europäische Industrie zu dekarbonisieren und Investitionen in grüne Technologien zu fördern. Der Plan soll helfen, die EU-Wirtschaft widerstandsfähiger und nachhaltiger zu gestalten, indem er die Entwicklung von Lieferketten für saubere Technologien und Elektrofahrzeuge unterstützt.
Von der Leyen unterstrich die Bedeutung der Sicherung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit Europas in einer globalen Wirtschaft, die zunehmend von technologischen und umweltpolitischen Veränderungen geprägt ist. Der Clean Industrial Deal soll sicherstellen, dass die EU an der Spitze der grünen Transformation steht, ohne ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu gefährden.
Trotz der positiven Reaktionen gibt es auch kritische Stimmen aus der Umweltbewegung. Faustine Bas-Defossez, Direktorin des Europäischen Umweltbüros, begrüßte die Klimaziele, warnte jedoch davor, dass der Fokus auf das Klima nicht zu Lasten des Schutzes der Biodiversität und der Bekämpfung der Umweltverschmutzung gehen dürfe. Sie betonte, dass die Klimakrise eng mit der Krise der Artenvielfalt und der Umweltverschmutzung verknüpft sei und nicht isoliert behandelt werden könne.
Anouk Puymartin von BirdLife Europe äußerte Bedenken über die „vagen Versprechungen“ in von der Leyens Manifest. Sie warnte davor, dass die vorgeschlagene Deregulierung und Vereinfachung der Prozesse den Interessen der Industrie Vorrang einräumen könnte, was langfristig der Umwelt schaden könnte.
Von der Leyen plant die Einführung eines Europäischen Ozeanpakts, der die „blaue Wirtschaft“ fördern und einen speziellen Kommissar für Fischerei und Ozeane etablieren soll. Dieser Pakt zielt darauf ab, die Meeresressourcen nachhaltig zu nutzen und die Resilienz der Ozeane zu stärken. Meeresschutzgruppen begrüßten den Vorschlag, fordern jedoch einen umfassenderen Ansatz, der nicht nur die Fischerei, sondern auch die Erhaltung der marinen Ökosysteme umfasst.
In Bezug auf den Verkehr hat die Kommissionspräsidentin klargestellt, dass das faktische Verkaufsverbot für neue Benzin- und Dieselautos ab 2035 bestehen bleibt. Trotz der Unterstützung für synthetische Kraftstoffe aus ihrer eigenen politischen Familie bleibt sie fest entschlossen, den Übergang zu emissionsfreien Fahrzeugen zu fördern. Julia Poliscanova von der NGO Transport & Environment betonte die Notwendigkeit, den Fokus auf den Aufbau sauberer Lieferketten für Elektrofahrzeuge zu legen, anstatt sich auf Nischen-Elektrokraftstoffe zu konzentrieren.
Ursula von der Leyens Wiederwahl wurde durch eine breite Unterstützung der proeuropäischen Kräfte im Parlament gesichert, insbesondere angesichts der Bedrohung durch extrem rechte und EU-feindliche Gruppierungen. Ihre Zusagen, die Transparenz und Rechenschaftspflicht zu erhöhen und häufiger im Parlament präsent zu sein, stießen auf positive Resonanz.
Bundeskanzler Olaf Scholz und andere europäische Führungspersönlichkeiten gratulierten von der Leyen und betonten, dass ihre Wiederwahl ein starkes Zeichen der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union sei. Dennoch gab es innerhalb ihrer eigenen Fraktion kritische Stimmen, die eine stärkere Fokussierung auf soziale und umweltpolitische Themen fordern.
Ursula von der Leyens zweite Amtszeit wird entscheidend sein, um die Balance zwischen wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und ökologischem Fortschritt zu finden. Ihre Fähigkeit, die unterschiedlichen Interessen innerhalb der EU zu vereinen und gleichzeitig ehrgeizige Klimaziele zu verfolgen, wird maßgeblich für den Erfolg ihrer Präsidentschaft und die Zukunft Europas sein. Mit einem klaren Mandat und einer breiten Unterstützung im Parlament steht sie vor der Herausforderung, die EU auf ihrem Weg zu einem nachhaltigeren und wettbewerbsfähigeren Kontinent zu führen.