Gauck zeigte sich erschüttert: Schließlich treffe Deutschland mit dem Bedrohungsszenario und den Auseinandersetzungen in Israel eine zusätzliche Belastung. "Vor diesem Hintergrund ist ungesichertes Terrain im Inland nochmal etwas Bedrohliches", warnte der Politiker. "Wenn die Kommunikation der Regierenden so ist, dass ein Großteil der Bevölkerung schon Kontrollverlust befürchten muss, weil bestimmte Ansagen nicht kommen, dann ist das eine sehr heikle Situation."
In Zuge dessen forderte der Altbundespräsident von der Ampel-Regierung eine neue Art zu kommunizieren: "Wir brauchen eine neue Bereitschaft mit der Bevölkerung so zu sprechen, als wäre die Bevölkerung erwachsen", konstatierte Gauck im Gespräch mit Maischberger. Auch ein Nicht-Gelingen eines Vorhabens könne Vertrauen in die Regierenden stiften, wenn es richtig kommuniziert werde.
Ein sehr gutes Beispiel dafür sei der Leitsatz "Wir schaffen das" der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) während der Flüchtlingskrise. "Wollen wir eine Regierungschefin haben, die sagt: Liebes Volk, das schaffen wir nicht? Totaler Blödsinn. Aber dann hätte folgen müssen, wie wir das schaffen", kritisierte Gauck den Kommunikationsstil der Ampel-Koalition. Würden Politiker genau erklären, was ihre Absicht sei, wachse auch das Vertrauen in der Bevölkerung wieder.
Als Maischberger fragte, ob er Vergleichbares in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstagvormittag im Bundestag gehört habe, monierte Gauck: "Nein, das habe ich nicht so richtig gehört." Er hoffe aber auf eine "neue Entschlossenheit". Vorgezogene Neuwahlen halte er trotz aller Kritik falsch, da sie bei vielen Bürger womöglich nur falsche Vorurteile über die Politik bestätigen würden. Und genau das dürfe man aktuell nicht provozieren: "Was würden uns jetzt Neuwahlen bringen? Möglicherweise eine neue Regierung, aber erst mal eine Phase elementarer Verunsicherung", schloss der Altbundespräsident unweigerlich.
Problematisch sei eine offene liberale Gesellschaft und ihre Repräsentanten, die sich nicht durchringen können zu einer Politik, die erkennbar führt. "Dieses Führungsdefizit sorgt für ein Vertrauensdefizit". Davon profitiere auch eine Partei wie die AfD. Sollte die genannte Partei bei einer der kommenden Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern einen Wahlsieg einfahren können, ist sich der frühere DDR-Bürgerrechtler sicher, dass die Politik darauf Antworten findet: "Natürlich müssen die anderen Parteien sich dann verbünden untereinander."
Gauck ermahnte Deutschland in diesem Zusammengang zu Courage und Demokratiefähigkeit. "Damit gehen wir ins Gefecht und stellen die Leute in einer kämpferischen Toleranz. Und dann wollen wir mal sehen. Wir schenken ihnen vor allen Dingen nicht unsere Angst", betonte der Politiker.