
Stoltenberg stellte sich damit gegen die Befürchtungen vieler Beobachter, dass die westliche Unterstützung wegen des Kriegs in Nahost und den geringen Erfolgen der ukrainischen Gegenoffensive zurückgehen könnte. Der Nato-Generalsekretär hob als Zeichen der fortgesetzten Unterstützung die neuen Finanzhilfen aus Deutschland und den Niederlanden sowie die Eröffnung eines Ausbildungszentrums für ukrainische F16-Piloten in Rumänien hervor.
Zu einer deutlichen Ausweitung der Ukraine-Hilfen rief CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter die Nato-Mitgliedsstaaten auf. "Bei der militärischen Unterstützung muss jetzt endlich ‚all in‘ gegangen werden: mehr Flugabwehr, mehr Drohnen, mehr Munition, mehr Präzisionsflugkörper, Sanktionen ausweiten, Schlupflöcher schließen, eine konkrete Einladung für den Nato-Gipfel 2024″, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Bei dem Gipfel im kommenden Jahr in Washington müsse die Ukraine die Zusage erhalten, in die Nato eingeladen zu werden, sobald es die Sicherheitsbedingungen zuließen. "Die künftige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ist für unsere Sicherheit essenziell und nicht verhandelbar."
Die Außenminister beraten auch über den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit der Nato. "Die Nato hat gute Pläne für ihre Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit entwickelt, ist aber noch nicht in der Lage, sie umzusetzen", sagt Christian Mölling, Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Alle Nato-Staaten zögern noch, ihre Rüstungsindustrie und Logistik massiv auszubauen", beobachtet er. Im Falle einer großen Verlegung von militärischem Gerät an die Ostfront fehlten beispielsweise in Deutschland die Transportwege. "Die Nato muss sich auf neue Krisen vorbereiten", sagt Möllig dem RND, und deshalb sei es wichtig, bei diesem Treffen auch China und den Westbalkan nicht aus den Augen zu verlieren. Beide sind, ebenso wie der Krieg in Nahost, Themen beim zweitägigen Treffen.
Diese Beobachtung teilt auch Kiesewetter. "Der Westen muss sich mental und materiell auf Krieg einstellen", so der Oberst a.D., und hält eine Art "Kriegswirtschaft" für nötig, bei der die Rüstungsindustrie mehr als bisher unterstützt und die Kommunikation der Politik gegenüber der Bevölkerung verändert wird. "Es muss allen klar werden, dass wir bereits hybrid angegriffen werden und dass neben Israel, weitere militärische und hybride Angriffe drohen: durch Russland in Finnland, durch Nordkorea gegen Südkorea, im Westbalkan durch Serbien, im Nahen Osten durch Iran, in Taiwan durch China."
Die Teilnahme Schwedens am Außenministertreffen in Brüssel wurde von der anhaltenden Beitrittsblockade durch Ungarn und die Türkei überschattet. "Ich hatte gehofft, dass Schweden bis zu diesem Treffen vollständig der Nato beitreten würde", sagte ein sichtlich frustrierter Stoltenberg. Schweden habe Zugeständnisse gemacht, nun müsse die Türkei die Ratifizierung abschließen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, die Mitgliedschaft Schwedens sei "mehr als überfällig". Zudem sicherte sie der Ukraine Unterstützung für weitere Gegenoffensiven zu.
Die Türkei ist durch ihre Lage am Schwarzen Meer geostrategisch von großer Bedeutung für die Nato. Eine Stärkung des Verteidigungsbündnisses durch einen Beitritt Schwedens liege auch im Interesse der Türkei, meint Kiesewetter, weil das Russland schwäche und so Russland auch im Schwarzen Meer eingedämmt werde. "Die Türkei muss sich endlich klar entscheiden, auf welcher Seite sie stehen will", so Kiesewetter. Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, bezeichnet die Hinhaltetaktik der Türkei als "völlig inakzeptabel". Die Nato sei kein Basar, auf dem man die Preise immer höher treiben kann. "Schluss mit den Spielchen!"
An diesem Mittwoch kommt erstmals der Nato-Ukraine-Rat auf Ebene der Außenminister zusammen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba wird ebenfalls an dem Treffen teilnehmen. "Beim Nato-Ukraine-Rat soll jetzt eine konkrete Reformliste für die ukrainischen Streitkräfte und den Sicherheitssektor verabschiedet werden", sagt Michael Roth, Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. "Damit kann die Ukraine noch näher an die Nato rücken, das stärkt die Argumente für einen baldigen Nato-Beitritt." Auch die immer wieder geforderten Sicherheitsgarantien als Zwischenschritt zu einem Nato-Beitritt sollten konkret ausbuchstabiert werden, fordert er.