Der Limburger Bischof unterbaut sein ernüchterndes Fazit mit einer repräsentativen Umfrage, der 6. Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung (KMU) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Erstmals wurden dafür auch Katholiken befragt. Einige Ergebnisse der im November veröffentlichten Studie: Die Mehrheit der Bevölkerung gehört keiner der beiden großen Kirchen mehr an. 56 Prozent bezeichnen sich als uneingeschränkt nicht religiös. Nur ein Drittel aller noch verbliebenen Kirchenmitglieder sagt von sich, definitiv keinen Kirchenaustritt zu erwägen. Bätzings Kommentar dazu: "Solche Entwicklungen zu verdrängen oder zu verharmlosen, das wäre fatal."
Viele Menschen, die aus der Kirche austreten, sagen: "An meinem Glauben an Gott ändert das nichts." Doch die Studie belegt, dass sich die meisten damit etwas vormachen. Ohne kirchliche Praxis, ohne Anbindung an eine Gemeinde verdunstet der Gottesglaube schnell. Die Kinder der Ausgetretenen haben ganz überwiegend keinen Zugang mehr zu Kirche und Religion.
Katholische Hardliner behaupten oft, die Gläubigen würden sich von der Kirche abwenden, weil diese zu viele Zugeständnisse an den Zeitgeist gemacht habe. Die Kirche müsse sich deshalb wieder auf ihre althergebrachte Lehre besinnen. Die Studie belegt jedoch - wie schon viele andere repräsentative Umfragen zuvor - dass dies für die deutschen Katholiken absolut nicht zutrifft.
Wie Bätzing ausführt: "Ein überwältigender Anteil von 96 Prozent der Katholikinnen und Katholiken äußern: "Meine Kirche muss sich grundlegend ändern, wenn sie eine Zukunft haben will."" Und damit meinen sie einen positiven Umgang mit Homosexualität, mehr Mitbestimmung für Laien (Nicht-Kleriker), eine Heiratserlaubnis für Priester und eine stärkere Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche. Bätzing folgert daraus: "Reformen lösen gewiss nicht alle Probleme der katholischen Kirche, aber diese verschärfen sich, wenn Reformen ausbleiben."
Erneuerungsprozesse wie der "Synodale Weg" bleiben von daher dringend geboten, wie es auch der als Reformer bekannte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck in seiner Neujahrspredigt betonte. Man dürfe sich aber nicht der Illusion hingeben, dass der Entkirchlichung damit Einhalt geboten werden könne. "Wir werden es gemeinsam aushalten und gestalten müssen, dass eine zunehmende Mehrheit in unserem Land keiner Religionsgemeinschaft angehören will", räumt Overbeck unumwunden ein.
Deshalb müsse man dringend damit aufhören, "an einer verklärten Gestalt von Volkskirche festzuhalten, die es so wahrscheinlich nie gegeben hat". Denn der Grund, warum früher fast alle in der Kirche waren, war ja nicht unbedingt, dass alle zu 100 Prozent von der Existenz eines christlichen Gottes überzeugt waren, sondern weil es einfach der gesellschaftlichen Erwartung entsprach. Es hatte viel mit Druck und von oben eingepflanzten rigiden Moralvorstellungen zu tun.
Dass das mittlerweile weggefallen ist, werden nur wenige bedauern. Doch die Entkirchlichung bedeutet gewiss nicht nur Befreiung und Selbstermächtigung. Die Studie zeigt zum Beispiel auch: Kirchenmitglieder engagieren sich in weit überdurchschnittlichem Maß ehrenamtlich, zum Beispiel als Flüchtlingshelfer. Wenn das wegfällt, dürfte es kälter werden im deutschen Alltag. Der in der DDR aufgewachsene Religionssoziologe Detlef Pollack geht davon aus, dass die westlichen Gesellschaften viel stärker durch das Christentum geprägt sind, als ihre Bewohner selbst wahrnehmen: "Werte wie Gerechtigkeit, Mitleid, Demut - oder wie wir heute sagen: Fairness, Empathie, Bescheidenheit - haben eine große Bedeutung", sagte Pollack jüngst in einem Interview. "Menschen, die von außen nach Europa kommen, bemerken diese Spuren des Christentums sehr deutlich."
Bätzing selbst stellte am Ende seiner Predigt die Frage, was aus all den Einsichten folge. Seine Antwort: "Wir sind nicht am Ende. Aber eine ganz bestimmte soziale Form von Kirche neigt sich dem Ende zu."