
In etlichen Spielen kam es in dieser Saison zum Einsatz von Pyrotechnik, bei Vereinen aller drei Profiligen, in Auswärtsblocks und Heimkurven, in der Liga und im Pokal. Nebst der zweiten Runde im DFB-Pokal in dieser Woche markierte das vorvergangene Wochenende einen Höhepunkt. Von der Kölner Südkurve aus wurden minutenlang Raketen geschossen, rot-weißer Rauch stieg auf, dazwischen blinkten Fackeln, auf der anderen Seite zündelten die Fans vom Derbygegner Borussia Mönchengladbach. Das Spiel wurde verzögert angepfiffen.
Nur zwei Tage zuvor brannte die Nordkurve in Hannover in Rot, Dutzende Leuchtfackeln verteilten sich über den gesamten Bereich und legten einen roten Dunst über die Kurve. Rund 500 Kilometer entfernt, in Elversberg, stieg nahezu zeitgleich roter Rauch im Fanblock von Eintracht Braunschweig auf, noch ehe die Braunschweig-Anhängerschaft selbst zündelte. Die Hannover-Fans haben die Rauchbombe angeblich per Fernzünder gezündet.
An diesem Sonntag treffen diese beiden Klubs und damit die Fans, die in der abgelaufenen Saison die meiste (Hannover) und siebtmeiste (Braunschweig) Pyro gezündet haben, aufeinander. Ebenfalls in Niedersachsen duellieren sich Wolfsburg und Werder, die in der laufenden Saison Platz eins (Werder) und zwei (Wolfsburg) belegen. Was lassen sich die Ultras einfallen?
Dass bei den Derbys gezündelt wird, bezweifelt wohl niemand. "Wir werden es als Gesellschaft nicht schaffen, Pyrotechnik gänzlich aus den Stadien zu verbannen, aber dann muss man dafür sorgen, dass es möglichst so passiert, dass niemand verletzt wird", sagt auch Fanforscher Jonas Gabler, der für die "Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit" (Kofas) arbeitet.
Die Geldstrafen für die Vereine haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, immer mehr Fälle von abgebrannter Pyrotechnik wurden erfasst. Alleine in der Saison 2022/2023 sanktionierte der DFB 10.144 gezündete Pyrofackeln. Die Vereine wissen schon vor Saisonstart, dass sie mit fünf- bis sechsstelligen Summen an Strafzahlungen rechnen müssen. Und es wird mehr: Seit 2018/2019 werden gezündete Fackeln vom DFB gezählt. Im ersten Jahr sind 3329 dokumentiert, der Einsatz hat sich in den vergangenen fünf Jahren also mehr als verdreifacht.
Vor allem nach dem Ende der coronabedingten Beschränkungen nahm die Pyrotechnik in den Stadien zu. "Ich vermute, dass es damit zu tun hat, die Wiederkehr in die Stadien zu feiern. Es gibt da offenbar das Bedürfnis, sich jetzt so richtig auszulassen", sagt Gabler. Dabei sei auch die jahrelang gelebte Praxis, überwiegend bei Auswärtsspielen Pyrotechnik abzubrennen, über Bord geworfen worden. Auch wenn schon in der Nachkriegszeit erste Fackeln in Stadien abgebrannt wurden, gab es den großen Aufschwung mit dem Aufkommen der Ultrakultur in den 80er- und 90er-Jahren. In anderen Ländern, etwa Italien, war das Zündeln schon weitverbreitet.
Für Ultragruppierungen ist Pyrotechnik längst Teil der Fankultur geworden, ein optisches Stilmittel. Was den Reiz an Pyrotechnik ausmacht – darauf hat keine der sieben von Gruppen geantwortet. Gabler sieht vor allem zwei Aspekte. Zum einen der des Feuers, des blinkenden Lichtes, das Menschen seit jeher anzieht. "Da entsteht ein Faszinosum, wie bei kleinen Kindern, die blinkende Schuhe toll finden." Andererseits wäre da noch geringer Aufwand bei hohem Ertrag. "Mit 10, 15, 20 Fackeln kann man ein Bild erzeugen, das die ganze Kurve einnimmt", so Gabler. Um mit Fähnchen und Plakaten eine ähnlich großflächige Choreografie darzubieten, benötigt es mehr Ressourcen, Geld und Koordination.
Die Erfahrungen zeigen: Besondere Choreografien, spektakuläre Pyroshows, spezielle Darbietungen animieren auch die Fanszenen anderer Vereine, noch kreativer zu werden. "Die Ultrakultur war immer auch ein Wettbewerb der Kurven, parallel zu dem Spiel auf dem Platz", sagt Gabler. So schaukelt sich das Ganze hoch. Inzwischen gibt es Instagram-Kanäle mit mehreren Zehntausenden Followern, in denen die besten Choreografien der Spieltage gefeiert werden.
Dabei ist der Einsatz von Pyrotechnik im Stadion verboten. Ultragruppierungen lassen sich jede Woche etwas Neues einfallen, um die Leucht- und Rauchmittel ins Stadion zu schmuggeln. Aussteiger berichteten von Sicherheits- und Cateringpersonal, das bestochen wird und die Produkte etwa in Spülkästen auf den Toiletten versteckt, davon, wie Pyro über den Zaun auf Stadiongelände geworfen wird oder wo am Körper es versteckt werden kann, um beim Abtasten nicht gefunden zu werden.
Schauen die Vereine beim Schmuggeln weg, um es sich nicht mit den Ultras in den eigenen Reihen zu verscherzen?
Der HSV, berichtet der Leiter Fankultur, Cornelius Göbel, habe nicht nur die Personenkontrollen an Spieltagen, sondern je nach Brisanz der Partie auch Stadiondurchsuchungen und Einsätze von auf Pyrotechnik spezialisierten Spürhunden. Trotzdem werde kaum etwas gefunden. Für Fanforscher Gabler steht der Aufwand oft nicht im Verhältnis. "Die Sicherung des Stadions mit den Mitteln, mit denen beispielsweise ein Flughafen gesichert wird, das wäre finanziell nicht stemmbar." Die Strafzahlungen seien im Endeffekt günstiger als die Aufrüstung an und vor Spieltagen.
Von der Utopie, durch Bestrafungen zu pyrofreien Kurven zu gelangen, haben sich die Vereine längst verabschiedet. Deshalb wird nun überlegt, wie der Einsatz legalisiert werden könnte – um einen Kompromiss zwischen gelebter Fankultur der Ultras und der Sicherheit des Publikums zu finden, denn immer wieder werden Unbeteiligte verletzt. Ideen werden im Ausland bereits getestet. In Norwegen ist der Einsatz von Bengalos nach vorheriger Genehmigung vor Spielbeginn seit 2005 erlaubt. In Dänemark testet Brøndy IF sogenannte kalte Pyrotechnik (die mit 200 Grad immer noch recht heiß ist), in Orlando City in der US-amerikanischen MLS gibt es sogar einen eigenen Bereich, in dem gezündelt werden darf. Hierzulande hingegen werden von Politikern bisweilen gar Haftstrafen gefordert.
Unrealistisch sei es zu glauben, dass der Einsatz von Pyrotechnik wie aktuell legalisiert würde, sagt Fanforscher Gabler. Aber: "Ich halte Kompromisse und den legalen Einsatz für realistisch, weil es in anderen europäischen Ländern auch möglich ist." Die Entwicklung ist eindeutig: Immer mehr Vereinsspitzen, zuletzt aus Bremen, Stuttgart und St. Pauli, sprechen sich dafür aus, legale Wege zu finden.
Einer dieser Vereine ist auch Zweitligist HSV. Der startete im Frühjahr 2020 mit einem Pilotprojekt. Beim Heimspiel gegen den Karlsruher SC wurden im Rahmen einer Choreografie vor der Nordkurve zehn Rauchtöpfe gezündet, die die Kurve in weiß und blau erscheinen ließen. Ganz legal. Die Kosten für den Pyrotechniker, die Zertifizierung und das Material, berichtet Göbel, habe der Verein übernommen.
Noch in dieser Saison, ein Termin ist noch nicht gefunden, will der HSV einen zweiten Versuch wagen – denn der erste kam sehr gut an. In einer Umfrage unter 5000 Dauerkartenmitgliedern befürworteten mehr als 90 Prozent diesen kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik. Auch Ultragruppen anderer Vereine meldeten sich beim HSV, fragten nach dem Vorgehen bei der Aktion.
Der DFB, der immer wieder auf die Gefahren von Pyrotechnik verweist, wird den neuerlichen HSV-Vorstoß wohl nicht blockieren. Er stellt gegenüber klar, "dass eine Befreiung für den Veranstalter erteilt werden kann, in begründeten Ausnahmefällen unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten". Dem HSV, so Göbel, sei signalisiert worden, dass der DFB kooperativ ist, wenn die Sicherheitsbehörden in Hamburg den Einsatz genehmigen.
Doch ersetzen genehmigte Einsätze tatsächlich die Pyroshows in den Kurven? Nein, glaubt Göbel. "Das wäre illusorisch und auch die falsche Erwartungshaltung, dass es direkte Auswirkungen auf den grundsätzlichen Einsatz von Pyrotechnik hat, weil wir einen Pilotversuch durchgeführt haben." Zehn Rauchtöpfe, das weiß auch der HSV-Direktor, würden "wahrscheinlich nicht die Maßstäbe der Ultras bedienen." Für Fanforscher Gabler ist es dennoch ein wichtiger Schritt, "weil ich glaube, dass es in Richtung der Ultras signalisiert, dass man ihr Interesse ernst nimmt und ins Gespräch über den Gebrauch von Pyrotechnik kommt."
Und diese Gespräche sind notwendig. Bereits vor etwa zehn Jahren setzte sich die Ultraszene mit der Thematik auseinander. 56 Gruppen gründeten die Initiative "Pyrotechnik legalisieren" und einigten sich auf einen Kodex. Der wichtigste Aspekt: Pyrotechnik muss in der Hand oder auf dem Boden gehalten werden und darf nicht geschossen oder geworfen werden.
Durchgesetzt hat sich das indes nicht, wie zuletzt in Köln, bei Frankfurt und Rostock zu sehen war, als etliche Raketen in den Himmel geschossen wurden. "Ich nehme in den letzten drei bis fünf Jahren wahr, dass der Einsatz von Raketen verbreitet genutzt wird", sagt auch Gabler. Das ist in der Szene umstritten: Fans außerhalb der Ultragruppen hätten eher Verständnis und Sympathie für gefährdungsvermeidenden Gebrauch.
Denn Pyrotechnik, auch darüber muss Konsens herrschen, ist nicht nur Stilmittel und Ausdruck von Fankultur. "Es gibt auch das Element Pyrotechnik als Waffe und als Mittel des Protests, etwa um die Unzufriedenheit gegen die Mannschaft, gegen die Vereinsführung auszudrücken", sagt Gabler. Diese Art der Randale lässt sich über mögliche legale Projekte nicht auffangen. Und sie ist in der Debatte um die Legalisierung kontraproduktiv.