Drei Monate nach seiner überraschenden Freilassung plant Julian Assange, Gründer von Wikileaks, seine erste öffentliche Stellungnahme. Assange, der im Juni 2023 nach jahrelangem juristischen Tauziehen freigelassen wurde, wird sich kommende Woche vor dem Europarat in Straßburg äußern. Am Dienstag, dem 1. Oktober, wird er im Ausschuss für rechtliche Angelegenheiten und Menschenrechte sprechen, und am 2. Oktober wird die Parlamentarische Versammlung des Europarats einen neuen Bericht über seinen Fall diskutieren.
Laut Wikileaks bestätigt der Bericht des Europarats, dass Assange als politischer Gefangener angesehen werden könne. Der Bericht fordert von Großbritannien eine unabhängige Untersuchung, um zu klären, ob Assange während seiner Gefangenschaft unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt war. Dies ist eine bedeutende Entwicklung, da es die Debatte um Menschenrechte und den politischen Charakter seines Falles neu entfacht. Besonders in Großbritannien und den USA, wo die Regierungen Assange weiterhin als Gefahr für die nationale Sicherheit betrachten, ist diese Einstufung kontrovers.
Seit seiner Freilassung ist Assange aus der Öffentlichkeit verschwunden. Nach seiner Rückkehr nach Australien äußerte seine Frau, Stella Assange, Besorgnis über seinen Gesundheitszustand. Nach jahrelanger Haft unter teils extremen Bedingungen, darunter lange Isolationszeiten, benötige er Zeit zur Erholung. Wikileaks erklärte, Assange nehme nur aufgrund des "außergewöhnlichen Charakters der Einladung" an der Sitzung des Europarats persönlich teil. Diese ersten öffentlichen Äußerungen werden daher mit Spannung erwartet.
Die Freilassung Assanges im Juni 2023 kam nach einem überraschenden Deal zwischen ihm und der US-Justiz zustande. Ein Gericht auf der Insel Saipan, einem US-Außengebiet im Westpazifik, segnete diesen ab. Assange bekannte sich der Verschwörung zur Weitergabe von Informationen zur nationalen Verteidigung schuldig, was ihm eine formale Haftstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten einbrachte. Die Zeit, die er bereits in Haft verbracht hatte – insbesondere die fünf Jahre im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Großbritannien – wurde auf die Strafe angerechnet, sodass er keine zusätzliche Haftzeit absitzen musste.
Dieser Deal sorgte international für Diskussionen. Während Assanges Unterstützer den Schritt als überfällig begrüßten, bleibt er in den USA eine umstrittene Figur. Kritiker werfen ihm vor, durch die Veröffentlichung von rund 700.000 vertraulichen Dokumenten, die US-Quellen gefährdet zu haben. Diese Dokumente, die sich auf die Kriege im Irak und in Afghanistan beziehen, enthielten unter anderem Informationen über Kriegsverbrechen wie die Tötung von Zivilisten und Misshandlungen von Gefangenen durch US-Soldaten.
Assange bleibt eine polarisierende Figur. Für seine Anhänger ist er ein mutiger Journalist, der Kriegsverbrechen aufdeckte und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen wollte. Seine Enthüllungen brachten das fragwürdige Verhalten westlicher Mächte ans Licht, insbesondere das der USA. Sie sehen ihn als Symbol für die Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und zahlreiche Menschenrechtsaktivisten haben sich wiederholt für seine Freilassung starkgemacht.
Auf der anderen Seite betrachten ihn viele als Verräter, der durch die Veröffentlichung von Geheimdokumenten das Leben von US-Informanten und militärischen Quellen gefährdet hat. Besonders in den USA ist diese Sichtweise weit verbreitet. Der Fall Assange hat auch in vielen Ländern die Debatte über Whistleblowing und die Grenze zwischen staatlicher Transparenz und nationaler Sicherheit neu entfacht.
Während seiner Zeit im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh war Assange weitgehend von der Außenwelt isoliert. Laut Berichten von Wikileaks verbrachte er 23 Stunden pro Tag in einer winzigen Zelle, eine Praxis, die von Menschenrechtsorganisationen immer wieder kritisiert wurde. Die psychischen und physischen Auswirkungen dieser langen Isolationshaft wurden in der Vergangenheit von medizinischen Experten als alarmierend beschrieben. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Nils Melzer, bezeichnete Assanges Haftbedingungen als "psychologische Folter" und forderte mehrfach seine Freilassung.
Der Europarat, der sich selbst als Hüter der Menschenrechte in Europa versteht, wird durch die bevorstehende Sitzung einmal mehr die Wichtigkeit des Falles Assange unterstreichen. Seit dem Ausschluss Russlands aus dem Europarat 2022 nach der Invasion in der Ukraine gehören 46 Länder der Organisation an. Der Europarat ist nicht mit der Europäischen Union verbunden, hat aber großen Einfluss auf die Menschenrechtsdebatten in Europa und darüber hinaus.
Der Fall Assange stellt den Europarat vor die Herausforderung, zwischen den Forderungen nach Menschenrechtsverletzungen und den geopolitischen Interessen der USA und Großbritanniens zu vermitteln. Dies macht die bevorstehende Sitzung zu einem wichtigen Moment für die internationale Rechtsprechung in Bezug auf politische Gefangenschaft und Menschenrechte.
Die bevorstehenden Äußerungen von Julian Assange könnten das juristische und politische Tauziehen um seine Person neu entfachen. Es bleibt abzuwarten, ob die USA, die sich in der Vergangenheit vehement gegen seine Freilassung ausgesprochen hatten, weitere rechtliche Schritte einleiten werden oder ob Großbritannien auf die Forderungen des Europarats nach einer unabhängigen Untersuchung eingeht. Assanges Fall bleibt ein Präzedenzfall für die Frage, wie weit Whistleblower in ihrem Bestreben nach Transparenz gehen können, ohne staatliche Geheimnisse zu gefährden.
Die Welt wird auf seine Aussage blicken, denn sie könnte neue Impulse für die Debatte um die Pressefreiheit, das Recht auf Information und die Rolle von Whistleblowern in modernen Demokratien geben.