Seit März 2020 hat Deutschland ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Das Gesetz war von der schwarz-roten Koalition beschlossen worden, um den Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten zu erleichtern. Jetzt wurde es reformiert, weil immer noch vielerorts Personal fehlt, vor allem Fachkräfte. Dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2020 nicht die gewünschte Wirkung entfaltet hat, lag auch an der Corona-Pandemie, sagte Pau Palop-García vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Außerdem sei der bürokratische Aufwand für Ausländer, die als Erwerbsmigranten nach Deutschland kommen wollen, immer noch hoch.
Neu ist die Einführung einer sogenannten Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems. Zu den Auswahlkriterien für arbeitswillige Einwanderer, die diesen Weg wählen, gehören Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. Ausländische Fachkräfte müssen künftig ein Mindestgehalt von rund 43.800 Euro erreichen, statt wie zuletzt 58.400 Euro brutto jährlich.
Asylbewerber, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind und eine Qualifikation sowie ein Jobangebot haben, sollen - wenn sie ihren Asylantrag zurücknehmen - eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen können. Bislang musste man dafür erst ausreisen und sich dann vom Ausland aus um ein Arbeitsvisum bemühen. Wer als hochqualifizierte Fachkraft aus dem Nicht-EU-Ausland nach Deutschland kommt, soll künftig nicht nur den Ehepartner und die Kinder mitbringen dürfen, sondern auch Eltern und Schwiegereltern. Voraussetzung für den Familiennachzug ist aber, dass der Lebensunterhalt für die Angehörigen gesichert ist. Sozialleistungen beantragen können die Eltern nicht.
Aktuell können Deutschlands Unternehmen rund 1,73 Millionen offene Stellen nicht besetzen, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in seiner Quartalsabfrage. Allein bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind im Oktober 748.665 unbesetzte Stellen gemeldet. Laut der BA liegt derzeit die durchschnittliche abgeschlossene Vakanzzeit, um eine Stelle zu besetzen, bei 153 Tagen. Das spiegele laut BA die Schwierigkeiten vieler Betriebe wider, trotz steigender Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zeitnah passende Arbeits- und Fachkräfte zu finden.
In der Pflege und im Handwerk wird händeringend Personal gesucht. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sieht im Gesetz aber keine Lösung für das Fachkräfteproblem. "Einerseits, weil der Fachkräftemangel in den Pflegeberufen weltweit ein Problem ist, andererseits, weil die Rahmenbedingungen für Pflegefachpersonen in Deutschland nicht attraktiv sind", sagte DBfK-Bundesgeschäftsführerin Bernadette Klapper. "Das beste Gesetz nützt nichts, wenn zu viel Bürokratie zu bewältigen ist, und wenn es an der Umsetzung hapert", sagte der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich. Vor allem den kleinen und mittelständischen Betrieben fehle es an konkreten Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen bei der Suche und Rekrutierung handwerklich qualifizierter Fachkräfte im Ausland sowie bei der Integration vor Ort.
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz weise in die richtige Richtung, sagte Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). "Wo es große Fachkräftelücken gibt, bestehen meist aber auch strukturelle Probleme wie schlechte Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen." Nun gelte es, vorhandene Potenziale besser auszuschöpfen. "Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein wichtiges Willkommens-Signal", teilte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit. Es könne aber nur ein erster Schritt sein. Die Migrationsverwaltung sei schon jetzt völlig überlastet. "Arbeitskräfte, die bereits einen Arbeitsvertrag haben und morgen anfangen könnten, warten monatelang darauf loszulegen."
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bietet Beratungen für Menschen im Ausland an, die sich für eine Arbeit in Deutschland interessieren. Im vergangenen Jahr gab es nach Angaben des BAMF 71.409 Beratungen zur Fachkräfteeinwanderung - eine Steigerung von 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Deutschland sei - trotz der schwierigen Sprache - bei Fachkräften im Ausland sehr beliebt, sagte Sekou Keita vom IAB. In Umfragen lande Deutschland häufig auf dem dritten Platz, knapp hinter Kanada und den USA. "Deutschland zehrt sehr vom Image der starken Wirtschaft mit guten beruflichen Möglichkeiten", sagte Keita.