Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor knapp einem Jahr haben sich die Spannungen zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon weiter zugespitzt. Die israelische Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat trotz der verheerenden Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung beschlossen, den militärischen Druck auf die proiranische Miliz Hisbollah zu erhöhen. Netanjahu kündigte in einer Erklärung an, die Angriffe zu intensivieren, nachdem Israels Norden in den letzten Monaten nahezu täglich Ziel von Raketenangriffen aus dem Libanon war. Dies geschieht parallel zu den anhaltenden Auseinandersetzungen im Gazastreifen mit der Hamas, einem weiteren Verbündeten der Hisbollah.
In den letzten Tagen verschärften sich die Kämpfe im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon dramatisch. Die israelischen Luftstreitkräfte führten verheerende Angriffe auf Hisbollah-Stellungen durch, wobei nach Schätzungen über 550 Menschen getötet und fast 2.000 verletzt wurden. Die Intensität der Angriffe ist die stärkste seit fast zwei Jahrzehnten und schürt die internationale Sorge vor einer weiteren Eskalation, die möglicherweise die gesamte Region destabilisieren könnte.
Am Mittwochmorgen wurde in Tel Aviv und anderen Teilen Israels Raketenalarm ausgelöst. Eine Rakete, die aus dem Libanon abgefeuert wurde, konnte jedoch von Israels Luftabwehrsystem abgefangen werden. Es war das erste Mal seit Beginn des Gaza-Kriegs, dass eine Rakete aus dem Libanon bis ins Zentrum Israels vordringen konnte. Dieser Angriff verdeutlicht die Reichweite und Gefahr, die von der Hisbollah ausgeht.
Die jüngsten israelischen Luftangriffe haben eine humanitäre Krise im Libanon ausgelöst. Zehntausende Zivilisten fliehen vor den Kämpfen, insbesondere aus dem Süden des Landes. Laut libanesischen Behörden haben mehr als 27.000 Menschen die besonders betroffenen Gebiete im Süden und Osten des Landes verlassen. Schulen wurden zu Notunterkünften umfunktioniert, und viele Libanesen versuchen verzweifelt, über überfüllte Straßen in sicherere Regionen zu gelangen. Auch in das krisengeschüttelte Nachbarland Syrien sollen sich bereits hunderte Menschen auf den Weg gemacht haben.
Die ökonomische Lage des Libanon war bereits vor der neuen Angriffswelle katastrophal. Das Land steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise, die Bevölkerung leidet unter hoher Arbeitslosigkeit und Armut. Der Libanon hat zudem seit 2011 rund 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, was die ohnehin prekäre Lage weiter verschärft.
Die Gewalt in der Region ist auch Thema der laufenden UN-Vollversammlung in New York. Der Weltsicherheitsrat wird sich heute in einer Sondersitzung mit der Lage im Nahen Osten befassen. Es gibt zunehmende internationale Kritik an der Eskalation der Gewalt und den zivilen Opfern. Die israelische Regierung betont jedoch, dass ihre militärischen Operationen ausschließlich gegen die Hisbollah gerichtet seien und nicht gegen die libanesische Bevölkerung. Netanjahu machte deutlich, dass jeder, der die Hisbollah unterstützt oder Waffen für die Miliz versteckt, ebenfalls als Ziel betrachtet werde.
Der iranische Präsident Massud Peseschkian verurteilte die israelischen Angriffe als "terroristische Verbrechen" und warnte, dass die Aggressionen gegen den Libanon nicht unbeantwortet bleiben würden. Gleichzeitig forderte er mehr Zusammenarbeit zwischen den Ländern der Region, um Frieden und Stabilität zu sichern. Auch in Europa wächst die Besorgnis: Die britische Regierung rief alle britischen Staatsbürger auf, den Libanon zu verlassen, und verlegte 700 Soldaten auf die nahegelegene Mittelmeerinsel Zypern, um im Notfall Evakuierungen vorzubereiten.
Israelische Militärsprecher erklärten, dass die Hisbollah durch die anhaltenden Angriffe bereits erheblich geschwächt sei. Generalstabschef Herzi Halevi betonte, dass die israelische Armee keinen Rückzieher machen werde, bis die Gefahr für den Norden des Landes vollständig beseitigt sei. Verteidigungsminister Joav Galant fügte hinzu, dass die Hisbollah heute eine andere Organisation sei als noch vor einer Woche. Trotz dieser Erfolge bleibt die Gefahr weiterer Raketenangriffe bestehen, wie die jüngsten Vorfälle in Tel Aviv zeigen.
Der Militäreinsatz, der unter dem Namen "Pfeile des Nordens" läuft, hat bereits mehrere hochrangige Hisbollah-Kommandeure das Leben gekostet. Darunter der Leiter der Raketeneinheit, Ibrahim Muhammad Kubaisi, der bei einem gezielten Angriff der israelischen Armee in einem Vorort von Beirut getötet wurde. Die Hisbollah bestätigte den Tod Kubaisis und bezeichnete ihn als Märtyrer, während Israel seine gezielten Angriffe auf die Führung der Miliz fortsetzt.
Trotz der anhaltenden Kämpfe gibt es internationale Bemühungen, die Lage zu deeskalieren. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den iranischen Präsidenten aufgerufen, seinen Einfluss auf die Hisbollah geltend zu machen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Auch US-Präsident Joe Biden warnte in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung vor einem umfassenden Krieg und forderte die Konfliktparteien auf, die Diplomatie wieder in den Vordergrund zu stellen.
Es bleibt jedoch unklar, ob diese diplomatischen Bemühungen erfolgreich sein werden. Sowohl Israel als auch die Hisbollah scheinen entschlossen, den Konflikt weiterzuführen, was die Gefahr einer noch umfassenderen militärischen Auseinandersetzung erhöht. Die nächsten Tage und Wochen könnten entscheidend sein für die weitere Entwicklung im Nahen Osten.