Bei älteren Westdeutschen klingelten angesichts dessen die Ohren. Es ist jetzt genau 50 Jahre her, in die Geschichte ging dieser Vorgang als Ölpreisschock ein. Die damalige Bundesregierung unter Willy Brandt (SPD) schaffte damals im Eilverfahren die gesetzlichen Grundlagen, um mit solch einer Krise umzugehen: das "Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Mineralöl oder Erdgas" (Energiesicherungsgesetz).
Es war die Grundlage für damalige Anordnungen von Tempobeschränkungen und autofreien Sonntagen. Habeck ließ das Gesetz im vergangenen Jahr eilig novellieren, um es den "Anforderungen der aktuellen Krise" anzupassen. "So sollen die Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen an die Exekutive teils erhalten bleiben", heißt es in einem FAQ des Ministeriums vom April 2022, "teils aber werden sie aktualisiert, modernisiert und ergänzt".
Anfang 1973 hatten sich weltweit die jahrelang guten bis sehr guten Wirtschaftsaussichten der Industrienationen kräftig eingetrübt. Ein Jahr zuvor hatte der Club of Rome die Erreichung der "Grenzen des Wachstums" prognostiziert und den Raubbau an Natur und Umwelt kritisiert. Inflation griff um sich, der Dollar wurde im Frühjahr 1973 abgewertet. Die schwelende Krise entzündete sich im Nahen Osten. Ägypten und Syrien greifen am 6. Oktober 1973, dem Feiertag Jom Kippur, Israel an, um die seit 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebiete zurückzuerobern.
Der jüdische Staat wird ebenso kalt getroffen wie 50 Jahre später vom Angriff der radikalislamischen Hamas aus dem Gazastreifen. Amerikanische Waffenlieferungen verhindern 1973 in letzter Minute den Sieg der Araber.
Die arabischen Öleigentümerstaaten entschließen sich, ihr Öl als Waffe im Kampf für die Rechte des palästinensischen Volkes einzusetzen. Am 17. Oktober 1973 verhängen sie einen begrenzten Lieferboykott und beschließen die Fördermengen um monatlich 5 Prozent zu drosseln. Tags zuvor hatten die Länder des Persischen Golfs beschlossen, den Listenpreis für Rohöl um 70 Prozent zu erhöhen.
Die Folgen sind sofort spürbar: Die Preise explodieren im Westen, Panik macht sich breit. Europa bereitet sich auf den Winter vor, die Heizsaison beginnt. Die Bundesrepublik Deutschland steht vor einem Riesenproblem – 55 Prozent des Energiebedarfs wird mit Importrohöl befriedigt, fast 90 Prozent dieser Menge stammt aus arabischen Ländern. "Die Abhängigkeit vom Öl war damals ungleich größer als heute vom Gas", sagt der Wirtschaftshistoriker Rüdiger Graf vom Potsdamer Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF). "Die Optionen der Politik ähnelten aber denen der Krise im vergangenen Jahr: Umstieg auf andere Energieträger und andere Lieferanten, was aber Zeit benötigt, sowie Sparen."
Brandt und seine Minister müssen 1973 schnell handeln, wollen aber eine Panik verhindern, die durch steigende Spritpreise, Hamsterkäufe oder rationierte Spritabgaben an Tankstellen zu entstehen droht. So beschließen zunächst Bundesbehörden, in ihren Büros weniger zu heizen und den Stromverbrauch durch Licht zu reduzieren. Fahrende von Dienstfahrzeugen des Bundes müssen sich an ein Tempolimit halten. Doch das macht im Autofahrerland kaum Schule, jedenfalls geht der Benzinverbrauch nicht wie erhofft zurück. Brandt will die Bürger deshalb zur Einsicht zwingen. Es entsteht das Energiesicherungsgesetz. Darin heißt es: "Die Benutzung von Motorfahrzeugen kann nach Ort, Zeit, Strecke, Geschwindigkeit und Benutzerkreis sowie Erforderlichkeit der Benutzung eingeschränkt werden."
Die Bedeutung dieses Satzes wird den Bundesdeutschen wenig später klar. Am 25. November 1973 tritt das erste absolute Sonntagsfahrverbot in Kraft, auch am ersten, zweiten und dritten Advent dieses Jahres müssen Kraftfahrzeuge stehen bleiben. Für die nächsten sechs Monate gilt sogar ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und von 80 für alle anderen Straßen.
Angstmacher hatten die Bundesregierung zuvor immer wieder vor Unruhen und Wutbürgern – die damals natürlich noch nicht so genannt wurden – gewarnt. Doch die Deutschen reagierten gelassener, als viele es ihnen zutrauten, sie warteten einfach ab. ZZF-Historiker Graf schätzt ein, dass "damals das Vertrauen der Bundesbürger in Stabilität und Wachstum deutlich höher war" als 2022, als die russische Aggression für erhebliche Verunsicherung sorgte.
Dennoch: Auch wenn sich später herausstellte, dass die Einsparwirkung durch die autofreien Sonntage gegen null tendierte – Brandt erreichte, dass sich der Ölpreisschock tief ins kollektive Gedächtnis eingrub. Der Schreck der Wirtschaftswundernation Deutschland (West), ökonomisch doch verwundbar zu sein, währte lange. Die Lage entspannt sich zwar zum Jahresende 1973, da die arabischen Förderländer die Produktionsbremsen wieder lösen. Weitere Anfang 1974 geplante Fahrverbote in Deutschland fallen aus, im März wird das Tempolimit aufgehoben. Der ADAC jubelt, stets hatte er "freie Fahrt für freie Bürger" gefordert.
Die Folgen sind fatal. Wegen der Zurückhaltung der Deutschen beim Pkw-Kauf ordnen die Autobauer Kurzarbeit an. Andere Branchen folgen. 1975 gibt es mehr als eine Million Arbeitslose, was zu einer wachsenden sozialen Spannung führt.
Wirtschaftspolitisch beantworten die Regierenden in Bonn die Frage nach alternativen Energieträgern mit der Planung zum Bau von bis zu 40 Atommeilern in der Bundesrepublik und der größeren Zuwendung zum Gas, das billiger als Öl zum Beispiel aus der Sowjetunion bezogen werden kann. "Erneuerbare Energien spielten in diesen Debatten kaum ein Rolle", so Professor Graf aus Potsdam.
In diesen Tagen nimmt übrigens die am Ende große Abhängigkeit von russischem Gas seinen Lauf. Die Gaseinfuhrquoten stiegen von 10 Prozent aus sowjetischen Vorkommen im Jahr 1974 bis zuletzt auf 50 Prozent aus russischen Quellen. "Gas war umweltfreundlicher als Kohle", erklärt Historiker Graf. "In puncto Abhängigkeit hatte die Politik unterm Strich jedoch nichts aus der Ölpreiskrise gelernt."
Parteipolitisch hat der 1973er Ölpreisschock übrigens auch Folgen. Der Atomplanung in Deutschland stemmt sich eine schnell wachsende Anti-AKW-Bewegung entgegen, aus der sich letztendlich 1980 die Partei Die Grünen schält. Die neue Partei, erinnert Historiker Graf, hat sich in Krisen bei der Frage Energiesicherheit oder Umwelt stets für erstere entschieden. "Das ließ sich auch im letzten Jahr beobachten, als Robert Habeck nach Katar flog, um Gasdeals zu machen – obwohl dies grundsätzlicher der Logik seiner Politik und der seiner Partei widerspricht."
In der DDR kommt der Ölpreisschock – wie vieles andere auch – mit einiger Zeitverzögerung. Da sie ihr Öl billiger als auf dem Weltmarkt und stabil aus der Sowjetunion bezieht, gibt es 1973 keine Probleme. Im Gegenteil: Sie verkauft Produkte aus ihren Raffinerien gewinnbringend an den Westen. Doch als Moskau Ende der 1970er-Jahre seine Preise an die des Weltmarkts anpasst, bekommt auch die DDR Anfang der 1980er-Jahre massive Probleme in verarbeitenden Betrieben – und wird sich niemals mehr richtig davon erholen.