Der Füllstand liegt damit bereits deutlich über der gesetzlichen Vorgabe von 95 Prozent für den 1. November. Das geht aus Daten des Europäischen Gasspeicherverbandes GIE hervor. Exakt war der Füllstand am Donnerstag 98,89 Prozent. Den Unterschied zum Krisenjahr 2022 zeigt die folgende Grafik. Der aktuelle Füllstand (blaue Linie) liegt am oberen Rand der Füllstände in den Vorkriegsjahren 2018 bis 2021 (graue Fläche).
Deutlich ist auch, wie tief der Füllstand der Gasspeicher im Winter 2021/22 gesunken waren. Russland hatte Speicher in Deutschland teils selbst betrieben und vor dem Überfall auf die Ukraine leer laufen lassen. Seit Kriegsbeginn setzte Russland sein Gas erst als Drohmittel, dann als Waffe ein. Russland schränkte die Gaslieferung schrittweise ein und drehte Deutschland den Gashahn am 1. September 2022 komplett zu.
Ein gutes Jahr später urteilt die Bundesnetzagentur: "Die Gasversorgung in Deutschland ist stabil. Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet. Die Ausgangslage für den Winter 2023/24 ist deutlich besser als vor einem Jahr, jedoch verbleiben Restrisiken. Ein sparsamer Gasverbrauch bleibt wichtig."
Dennoch probte die Netzagentur vor vier Wochen den Ernstfall, einen Gasmangel und die Rationierung von Gas für Unternehmen. An der Übung nahmen Ministerien, Behörden von Bund und Ländern, Leitungsbetreiber und mehrere Industrieunternehmen teil. Ein Füllstand der Gasspeicher von mindestens 95 Prozent gilt zwar als Voraussetzung für eine ausreichende Versorgung im Winter. Eine Garantie bietet das gespeicherte Gas aber nicht. Es bleiben im Wesentlichen drei Risiken, dass Gas doch noch knapp und damit vor allem teurer werden könnte.
Der Gasverbrauch hängt sehr stark vom Wetter ab. Dabei spielen die Temperaturen, aber auch Faktoren wie Wind und Sonnenstunden eine Rolle. Eine längere Periode mit einem kalten, dunklen Winter würde der Gasverbrauch allen Sparbemühungen zum Trotz stark steigen lassen. Deutlich wurde das, als im Dezember 2022 die Füllstände der Gasspeicher an wenigen kalten Tagen stark fielen.
Zunächst aber ist keine Kaltfront in Sicht. Im Gegenteil: Der Deutsche Wetterdienst sage einen "überdurchschnittlich warmen Winter" voraus, sagte der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller der FAZ.
Russland kann sein Gas noch einmal als Waffe gegen Europa und damit gegen Deutschland einsetzen. Viele Länder im östlichen und südlichen Europa beziehen ihr Erdgas noch überwiegend aus Russland. Dazu gehören Österreich, Italien und Ungarn. Das Gas kommt über zwei Pipelines. Eine führt direkt durch die Ukraine, eine andere durch das Schwarze Meer. Beides ist Kriegsgebiet. Sollte Russland die Lieferung einschränken oder stoppen, müssten die betroffenen Länder über den europäischen Energieverbund aus Deutschland mitversorgt werden. Möglich ist auch eine Beschädigung der Pipelines.
Europa und damit Deutschland erhält das meiste Erdgas über Pipelines. Die Flüssiggas-Terminals wichtig, aber nur eine Ergänzung. Die Pipelines und dazu gehörige Infrastruktur sind aber verletztlich. Schäden, sei es durch Unfälle, Sabotage oder offene Angriffe könnten zu geringeren Lieferungen führen oder sie im schlimmsten Fall komplett unterbrechen. Im Spätsommer 2022 waren die Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 durch Explosionen zerstört worden. Die Hintergründe sind nach wie vor nicht geklärt. Und erst am 8. Oktober waren eine Pipeline zwischen Finnland und Estland sowie ein Datenkabel in der Ostsee durch äußere Einwirkungen beschädigt worden. Finnland führt dies auf einen Frachter zurück, der unter chinesischer Flagge fuhr und die Leitungen mit seinem Anker beschädigt habe.
Der Chef der Netzagentur, Klaus Müller, mahnt trotz des hohen Füllstands der Gasspreicher daher weiterhin zum sparsamen Umgang mit Gas. In den ersten warmen Herbstwochen sei es sogar zu Einsparungen von 50 Prozent im Vergleich zum Mittel früherer Jahre gekommen. Zum Schwur komme es aber, wenn es kälter werden sollte.