Die FDP setzt ihre Niederlagenserie bei Landtagswahlen fort und fliegt in Bayern aus dem Parlament hinaus und in Hessen beinahe. Vergleichsweise glimpflich kommen trotz deutlicher Verluste noch die Grünen weg. Sie könnten in Hessen mit der CDU sogar weiterregieren.
Der Trend geht bei diesen Wahlen ganz klar nach rechts - und zwar ziemlich weit nach rechts. Die AfD, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, ist kein ostdeutsches Massenphänomen mehr. Mehr als 18 Prozent in Hessen, 16 Prozent in Bayern, jeweils zweitstärkste Kraft - das sind die höchsten Ergebnisse bisher bei Landtagswahlen in westdeutschen Bundesländern. Kein Zweifel also - die beiden Wahlen haben die Bundespolitik ziemlich durchgerüttelt. Wie mag es nun weiter weitergehen?
Dass die vielleicht größte Verliererin des Wahlabends ihren Arbeitsplatz nicht in Wiesbaden oder München, sondern in Berlin hat, ist symptomatisch für diese Wahl. Die Bundesinnenministerin wurde in Hessen von der SPD ins Rennen geschickt, weil es keine Alternative gab. Und sie ist krachend gescheitert. Mit fast 20 Prozentpunkten Rückstand hat Nancy Faeser gegen Ministerpräsident Boris Rhein und seine CDU verloren: 15,1 zu 34,6.
Dass Scholz sie deswegen fallen lässt, ist aber ziemlich unwahrscheinlich. Der Kanzler lässt sich in solchen Fragen ungern treiben und hat selbst die Pleiten und Pannen der damaligen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) so lange ertragen, bis es wirklich gar nicht mehr ging. An Faeser hat er bisher keinerlei Zweifel erkennen lassen und sie in den vergangenen Tagen für ihr Agieren bei der Reform des europäischen Asylsystems mehrfach ausdrücklich gelobt. Das machte auch die komplette Parteispitze deutlich: "Wir stehen zu Nancy Faeser", sagte Kühnert.
Bleibt noch die Möglichkeit, dass Faeser selbst hinschmeißt. Ihre künftige Rolle als Landesparteichefin ließ sie am Wahlabend zwar offen, ansonsten hörte sie sich allerdings nicht danach an: "Ich habe sehr viel Solidarität heute aus Berlin erhalten."
Faeser kehrt nach dem desaströsen Wahlabend in Wiesbaden jedenfalls ziemlich angeschlagen nach Berlin zurück. Gleichzeitig hat sie in ihrem Ressort jenes Thema, bei dem akut der größte Handlungsbedarf besteht: die hohe Zahl an Migranten, die nach Deutschland kommen. Gut möglich, dass der Kanzler als Konsequenz daraus nun selbst das Heft des Handelns in die Hand nimmt. Die Union dringt auf einen Deutschland-Pakt zwischen Regierung und Opposition zur Eindämmung der irregulären Einwanderung.
Scholz sieht eher die Landesregierungschefs als den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz als seine Gesprächspartner. Mit denen trifft er sich am 6. November in Berlin, um über die Migrationspolitik zu sprechen. Bis dann hat er Zeit, bei dem Thema, das im Wahlkampf eine große Rolle gespielt hat, in die Offensive zu kommen. Auch in seiner eigenen Partei wächst der Unmut über das Image der Ampel als zerstrittener Haufen, der zu wenig zustande bringt. "Da muss jetzt mehr Tempo und ein anderer Stil rein", sagte SPD-Chef Lars Klingbeil.
Die Fraktion hat sich zuletzt schon mit ihrem Votum für einen befristeten Industriestrompreis zur Abfederung der hohen Energiepreise gegen die Position des Kanzlers gestellt. Der Ruf nach einer stärkeren eigenen Profilierung auch bei anderen Themen dürfte in der SPD nun lauter werden.
Ein Unsicherheitsfaktor für die Ampel ist, wie die FDP nun mit dem Wahlergebnis umgeht. Sie hat schon bei früheren Wahlschlappen Krach in der Koalition angefangen - ohne dass ihr das bei den nächsten Wahlen oder bei Umfragen auf Bundesebene geholfen hat. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ließ am Abend noch nicht erkennen, wo diesmal die Reise hingeht. Die FDP-Gremien würden an diesem Montag die Ergebnisse auswerten, sagte er. "Wir werden aber auch innerhalb der Koalition diese Ergebnisse analysieren und besprechen."
Klarere Worte fand der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki. "So kann es nicht weitergehen", sagte er der "Bild". "Das ist das klare Signal, dass wir in Berlin endlich aufnehmen müssen, was die Menschen bewegt. In der AKW-Frage, beim Heizungsgesetz oder in der Migrationspolitik lagen oder liegen wir konsequent im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung. Wenn wir keine Lösungen präsentieren, werden sich am Ende die Themen die Koalitionen suchen."
Die AfD feierte sich als großer Gewinner. "Der Wind ändert sich in Deutschland, der geht von links nach rechts", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Bernd Baumann. AfD-Chefin Alice Weidel schrieb auf der Plattform X (früher Twitter): "Unsere Rekordergebnisse geben unserer Politik recht!" und fügte ein "Bereit für mehr" hinzu - ein Slogan, den die Partei seit dem Sommer nutzt, um klar zu machen, dass sie irgendwann mitregieren will.
Die Ergebnisse in Hessen und Bayern verbucht Weidel als Zwischenerfolg. Richtig erschüttert werden könnte die politische Landschaft im kommenden Jahr, wenn in Sachsen, Thüringen und Brandenburg neue Landtage gewählt werden. In den Umfragen lag die AfD in den drei Ländern zuletzt mit über 30 Prozent vor allen anderen Parteien.
Am Sonntagabend musste die AfD allerdings auch eine Niederlage einstecken. In Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) gelang es ihr nicht wie erhofft, die Oberbürgermeisterwahl für sich zu entscheiden und zum ersten Mal einen Oberbürgermeister in Deutschland zu stellen. Ähnlich lief es vor wenigen Wochen bereits im thüringischen Nordhausen.
Für eine wichtige Frage mit Blick auf die nächste Bundestagswahl brachten die Wahlen keinen Aufschluss. Wer Kanzlerkandidat der Union wird, ist genauso offen wie davor. Sein desaströses Ergebnis der letzten Wahl vor fünf Jahren hat er zwar nicht wettmachen können, aber es hat sich nicht weiter verschlechtert. Damit ändert sich auch nichts an seinen Chancen auf eine Kanzlerkandidatur. Söder bleibt im Spiel - auch wenn er wieder beteuerte, dass er keine Kanzlerkandidatur anstrebe. "Mit einer so starken AfD braucht es auch einen sehr starken Ministerpräsidenten", sagte er im ZDF. "Alles andere kommt für mich nicht infrage." Doch so richtig glauben sie die Beteuerungen selbst im Umfeld des Bayern nicht - und in der CDU schon gar nicht.