"Es arbeiten wieder mehr Menschen", erklärt Brezis. Sie schätzt, dass Israels Wirtschaft zu etwa 75 Prozent weiterlaufe. Das heißt aber auch: Zu 25 Prozent läuft sie nicht. Der Krieg im Nahen Osten macht sich in Israels Unternehmen deutlich bemerkbar. Etwa 10 Prozent der Erwerbstätigen sei einberufen worden, sagt Brezis. Hinzu kommt, dass Menschen aus dem Norden und Süden des Landes evakuiert wurden. Helge Eikelmann von der deutsch-israelischen Wirtschaftsvereinigung spricht von einer Viertelmillion Menschen, die als Sicherheitsmaßnahme ihre Häuser verließen.
"Im Norden wie im Süden ist das wirtschaftlich ein schwerer Schlag, Betriebe und Unternehmen sind geschlossen", sagt er. Und dann sei da der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen, den auch Elise Brezis hautnah mitbekommt. Der Alltag im Großraum Tel Aviv sei massiv eingeschränkt, sagt Eikelmann. "Die Kollegen vor Ort berichten von leeren Cafés, alle Veranstaltungen sind abgesagt, Büros fahren mit verminderter Kapazität."
Mit seinen fast 10 Millionen Einwohnern gehört Israel gemessen an seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Dollar zu den 30 stärksten Volkswirtschaften der Welt. Zuletzt betrugt das BIP knapp 500 Milliarden Dollar. Und anders als in Deutschland ging es für das Land, das vor allem auf Exporte von Hightechprodukten setzt, zuletzt wirtschaftlich deutlich bergauf.
"Die israelische Wirtschaft expandierte vor dem Krieg recht kräftig", sagt Klaus-Jürgen Gern vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Der durch die Corona-Pandemie entstandene Rückgang des Bruttoinlandsprodukts sei bereits Mitte 2021 wieder wettgemacht worden. "Bis zum Sommer 2023 expandierte die Wirtschaft weiter deutlich, mit Wachstumsraten von über 3 Prozent, die Arbeitslosigkeit war mit etwas mehr als 3 Prozent rekordniedrig", sagt der Konjunkturexperte.
Israels Wirtschaft war also auf einem guten Weg – bis zum Ausbruch des Krieges. Seit die Hamas vor gut vier Wochen in Israel einfiel und die israelische Armee daraufhin im Gazastreifen einrückte, haben Israels wichtigste Sektoren einen Einbruch erlebt. "Ein besonders betroffener Industriezweig ist die für Israel wichtige Hightechbranche, wo überproportional viele junge Leute arbeiten", sagt Gern. Dort werde der Anteil der Einberufenen auf 15 Prozent geschätzt. "Dies dürfte die Produktion erheblich beeinträchtigen."
Der Konsum dürfte zudem stark zurückgehen, schätzt er. Insbesondere das Gastgewerbe leide massiv. Aber auch auf viele nicht notwendige Einkäufe werde verzichtet, zumal die Öffnungszeiten der Läden stark reduziert seien. Bevorratungskäufe dürften das nicht ausgleichen. "Anders als bei vielen Dienstleistungen können Güterkäufe aber nach Ende der Kampfhandlungen nachgeholt werden", führt er aus. Auch der Tourismus, der zuletzt etwa 3 Prozent des BIP ausmache, liegt weitgehend brach. Insbesondere ausländische Touristen kämen praktisch nicht mehr ins Land.
Hinzu kommt, dass der Shekel, Israels Währung, abgewertet wurde. Der Schekel schwächele zwar schon seit Längerem, sagt Gern. Schon bis September 2023 wertete er gegenüber dem Dollar um 20 Prozent ab. "Seit dem Angriff der Hamas kam eine Abwertung um weitere 5 Prozent dazu."
Wie stark Israels Wirtschaft letztendlich betroffen sein wird, hängt nun davon ab, wie lange die Kampfhandlungen noch gehen. Die US-Bank J.P. Morgan erwartet, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Quartal im Jahresvergleich um etwa 11 Prozent zurückgehen könnte. Die israelische Zentralbank hat ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr von 3 auf 2,3 Prozent korrigiert.
Zentralbank-Präsident Amir Yaron sagte allerdings: "Die israelische Wirtschaft ist robust und stabil." Man sei gewohnt, sich von schwierigen Zeiten zu erholen und schnell zu Wohlstand zurückzukehren – er habe keinen Zweifel, dass das auch wieder der Fall sein werde. Das sieht auch Elise Brezis ähnlich. Zwar will sie das Problem nicht kleinreden, aber Israels Wirtschaft werde das schon durchstehen, sagt die Ökonomin. "Unsere Wirtschaft ist stark."