Erdogan hatte am Freitag bei einer Gedenkveranstaltung zum 75. Todestag des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk in Ankara gesagt, Israel versuche seit 75 Jahren "einen Staat auf Land zu errichten, das dem palästinensischen Volk geraubt wurde". Die Legitimität Israels werde aufgrund seines "eigenen Faschismus in Frage gestellt".
Für Freitag ist ein Besuch Erdogans in Deutschland geplant. Auf Nachfrage zu Erdogans Äußerungen betonte Scholz, Israel sei eine Demokratie. "Auch das muss sehr klar gesagt werden, und auch darüber gibt es keinen Zweifel, und das werden wir auch in jedem Gespräch und bei jeder Gelegenheit betonen, dass das unsere Sicht der Dinge ist."
Der Bundeskanzler will den türkischen Präsidenten am Freitagabend zu einem Arbeitsessen im Kanzleramt in Berlin empfangen. Davor wird Erdogan Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier treffen. Der Besuch Erdogans sorgt aufgrund mehrerer Aussagen des türkischen Präsidenten zum Krieg zwischen Israel und der Hamas bereits seit Tagen für Kritik.
Erdogan Besuch sorgt auch für Kritik im Bundestag. Die Außenexpertin Sevim Dagdelen forderte Scholz auf, den Präsidenten wieder auszuladen. "Erdogans Besuch und Empfang in Deutschland kommen zur Unzeit", sagte die Bundestagsabgeordnete. Die Bundesregierung dürfe "Erdogan nicht den Roten Teppich ausrollen, während der türkische Staatschef die Terrororganisation Hamas schönredet und Israel das Existenzrecht abspricht", sagte Dagdelen. Der "militante Islamismus" dürfe nicht "aus falsch verstandener Rücksicht hofiert werden", sagte sie.
Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD). Erdogan füge seinem Land schweren Schaden zu, weil er mit seiner provozierenden, beleidigenden und populistischen Art der Bedeutung der Türkei als Brücke zwischen Europa und dem Nahen Osten nicht gerecht werde, sagte er. "Zuletzt hat er durch ungeheuerliche und infame Tiraden gegen Israel und seine Verteidigung des Hamas-Terrors abermals Öl ins Feuer eines brandgefährlichen Konflikts gegossen."
Der SPD-Politiker fuhr jedoch fort: "Es wäre unklug, in dieser dramatischen Lage nicht alle Kontakte zu nutzen. Der Besuch ist also richtig. Wenn wir nur mit denjenigen sprechen wollen, die uns in all ihren Interessen und Positionen genehm sind, werden wir wenig erreichen." Nur sei Nachsicht im Umgang mit autoritären Herrschern wenig erfolgversprechend, betonte Roth. "Deshalb sollte für Erdogans Besuch in Berlin gelten: wenig Lametta, viel Klartext."
Scholz muss nach Ansicht von CSU-Chef Markus Söder mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ein neues Abkommen zur Senkung der Flüchtlingszahlen aushandeln. "Wir erwarten uns vom Bundeskanzler bei dem anstehenden Besuch von dem türkischen Präsidenten Klartext, Klartext in der Sache, aber auch klare Ergebnisse“, sagte der bayerische Ministerpräsident am Montag nach einer Vorstandssitzung seiner Partei in München. Auch müsse Scholz mit Erdogan über dessen Äußerungen zur Rolle der Hamas im Krieg mit Israel sprechen. "Es braucht einen neuen Türkei-Deal, aber auch nicht einfach um jeden Preis, sondern auch mit einem klaren Bekenntnis zu den Positionen, die für uns wichtig sind“, betonte Söder.
Deutschland, die Nato und die EU brauchen die Türkei bei der Steuerung der Zuwanderung nach Europa. In dem Gespräch zwischen Scholz und Erdogan soll es unter anderem um eine Wiederbelebung des EU-Türkei-Abkommen zur Unterbringung von Flüchtlingen in der Türkei gehen. Umgekehrt müsse die Bundesregierung auch die Versprechen, die Deutschland bislang gemacht habe, einhalten, sagte Söder.