Nun will sich Aldi Nord, das seinen Account erst 2021 angelegt hatte, wieder vom Kurznachrichtendienst verabschieden und sich auf digitale Prospekte konzentrieren. Das verkündete es auf X – demonstrativ mit einem Bild, auf dem ein farbiges Model Plätzchen isst.
Aldi Nord ist nicht allein mit dieser Entscheidung: Das Handelsblatt fragte alle 40 Dax-Konzerne und die 20 größten Werbetreibenden aus Deutschland und kam zu dem Ergebnis, dass nur wenige große Unternehmen noch Werbebudgets für Elon Musks Social-Media-Plattform einplanen. Von 28 Dax-Konzernen, die geantwortet haben, haben acht – unter anderem die Allianz, BASF, Covestro und Mercedes – bezahlte Werbung auf X eingestellt, fünf weitere – darunter Volkswagen, Siemens und RWE – beendeten ihre Werbeaktivität auf X bereits vor einem Jahr.
13 Unternehmen – zum Beispiel Daimler Truck, die Deutsche Bank, Infineon, Rheinmetall, Zalando und Infineon – verzichten ohnehin auf Anzeigen bei X. Laut Andreas Meffert, Vertriebsleiter Deutschland des Marktforschungsunternehmens Nielsen Media, habe der Dienst für hiesige Werbekunden seit jeher eine geringere Rolle als andere Social-Media-Plattformen gespielt, weil in Deutschland weniger Menschen X nutzen als in anderen Ländern.
Die Firmen aber, die bisher auf der Plattform geworben haben, fürchten nun um ihre Marke. Siemens Energy besiegelte das Ende seiner Werbemaßnahmen auf X im September, "als sich immer mehr herauskristallisiert hat, dass diskriminierenden Posts kaum bis gar kein Einhalt geboten wird". Volkswagen hat dem Bericht zufolge seinen Marken schon im November 2022 empfohlen, ihre Werbeaktivitäten auf X "aufgrund von Bedenken bei der Markensicherheit bis auf Weiteres zu pausieren". Merck nennt als Grund "die allgemein massiv gestiegene Menge an Hasskommentaren, Hetze und Falschmeldungen", die man sehr kritisch sehe.
Nicht nur in Deutschland springen Elon Musk die Werbekunden ab. Auch Apple, IBM oder Disney haben keine Lust mehr – sehr zum Unmut des Unternehmers. Der ließ Werbekunden, die ihre Anzeigen stornieren, wissen: "Go f... yourself!".
Musk hat nach der Übernahme von Twitter zahlreiche Änderungen vorgenommen. Er hat an den Moderationsteams gespart und stattdessen die sogenannten "Community Notes" eingeführt, in denen Nutzer selber kommentieren können, ob sie Inhalte vertrauenswürdig finden. Den blauen Haken, der damals für verifizierte Firmen, Institutionen oder Prominente stand, erhalten heute beliebige Nutzer gegen Bezahlung – ohne Überprüfung ihrer Identität.
Diese Entscheidungen sind fatal für X, das den Großteil seiner Einnahmen mit Werbung erzielt. Seit Elon Musk das Unternehmen übernommen hat, ist das Werbegeschäft eingebrochen. Das Marktforschungsunternehmen Insider Intelligence prognostizierte, die Werbe-Erlöse von X 2023 um 54 Prozent sinken werden – und das bereits vor der jüngsten Kontroverse. Das sei "ein beispielloser Rückgang für ein Social-Media-Unternehmen", sagt Analystin Jasmine Enberg. Soziale Netzwerke sind eigentlich ein wachsender Bereich im Werbemarkt, weil Unternehmen hier Nutzer gezielter ansprechen und Streuverluste vermeiden können.
Unter den Dax-Konzernen gab einzig Continental an, seine Werbeaktivitäten bisher nicht eingestellt zu haben. Jedoch spiele Werbung auf X "nur eine sehr untergeordnete Rolle". Man beobachte die Entwicklung der Plattform weiter und bewerte das Vorhaben regelmäßig neu. Auch 1&1 antwortete, alle Social-Media-Kanäle weiterhin mit Bezahlmaßnahmen zu bespielen und Änderungen fortlaufend zu überprüfen.
Derweil bemüht sich X um kleine und mittlere Unternehmen als Werbekunden und erklärte der "Financial Times" am Freitag, sie seien "ein sehr wichtiger Motor, den wir lange unterschätzt haben".