Es war ein Schlag für das Land und die vielen Bauern, deren Lebenserwerb vom Auslandshandel abhängt: Schließlich zählt die Ukraine traditionell zu den größten Getreideexporteuren auf der Welt. "Es war eng, aber wir haben weiter gearbeitet. Wir haben versucht, jede Tonne aufzunehmen", schildert der Chef der Speichereinrichtung, Roman Andrejkiw, die Zeit nach dem Ende des Deals im Juli. Dank des neuen ukrainischen Korridors, geschützt durch das Militär, kann er jetzt "Lagerraum freischaufeln und Aktivitäten erhöhen".
Eine zunehmende Zahl von Schiffen steuert jetzt wieder die Schwarzmeerhäfen des Landes an und verlässt sie mit Getreide, Metallen und anderem Frachtgut - trotz des Risikos russischer Angriffe und auf dem Wasser treibender Minen. Die Exporte sind eine mehr als willkommene Spritze für die ukrainische Wirtschaft und sorgen wieder für einen beständigeren Fluss von Weizen, Mais, Gerste, Sonnenblumenöl und anderen erschwinglichen Nahrungsmitteln in Teile von Afrika, des Nahen Ostens und Asiens, wo die Preise für örtliche Erzeugnisse angestiegen sind und die Nahrungsmittel-Unsicherheit wächst.
Das Vertrauen kommerzieller Betreiber und damit ihr Interesse, ukrainische Getreidefrachten zu übernehmen, nehme wieder deutlich zu, schildert Munro Anderson vom Unternehmen Vessel Project. Die Firma schätzt Kriegsrisiken auf dem Meer ein und bietet Versicherungen an, gestützt von Lloyd‘s, dessen Mitglieder den größten Versicherungsmarktplatz der Welt bilden. Auch Ihor Osmatschko, Generaldirektor der Agroprosperis Group, einem der größten Agrarproduzenten und -exporteuren der Ukraine, sagt, dass er sich "optimistischer als vor zwei Monaten" fühle. "Damals war es völlig unsicher, wie zu überleben."
Seit sein erstes Schiff nach dem Ende des Deals Mitte September in See gestochen ist, hat das Unternehmen nach eigenen Angaben mehr als 300.000 Tonnen Getreide nach Ägypten, Spanien, China, Bangladesch, Tunesien sowie in die Türkei und die Niederlande exportiert. Aber es gibt natürlich weiter Risiken. So warnte Russland im Sommer, es werde davon ausgehen, dass Schiffe auf dem Weg zu ukrainischen Schwarzmeerhäfen Waffen transportieren. Und nach der Aufkündigung des Deals hat Moskau sowohl Häfen als auch Getreideinfrastruktur in der Ukraine angegriffen und dabei Nahrung in einem Umfang vernichtet, der ausgereicht hätte, mehr als eine Million Menschen ein Jahr lang zu versorgen.
Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj haben sich Verbündete bereit erklärt, kommerzielle Schiffe im Schwarzen Meer zu schützen, es seien allerdings mehr Luftverteidigungssysteme nötig. "Was wichtig ist, ist, dass wir Vereinbarungen haben", so Selenskyj. Der Korridor sei "betriebsfähig".
Als ein kommerzielles Schiff unter liberianischer Flagge diesen Monat im Hafen von Odessa von einer russischen Rakete getroffen wurde, haben sich wenig später Versicherer, Makler und Banken mit der Regierung in Kiew zusammengetan und eine erschwingliche Versicherung für Getreidetransporte über das Schwarze Meer angeboten.
Insgesamt hat die Ukraine durch den neuen Korridor bereits mehr als 5,6 Millionen Tonnen an Getreide und anderen Produkten ausgeführt, wie die US-Botschafterin in Kiew, Bridget Brink, kürzlich mitteilte. Allerdings waren es vor dem Krieg fast doppelt so viel pro Monat, sagt der ukrainische Vizeagrarminister Taras Kachka. Auch Kelly Goughary, eine Analystin für landwirtschaftliche Daten bei der Firma Gro Intelligence, räumt ein, dass "die Weise, wie sie jetzt transportieren, gewiss viel teurer und zeitaufwendiger ist". Aber, so fügt sie hinzu, "sie bekommen das Produkt aus der Tür". Das sei mehr, als viele nach Beendigung des Getreidedeals erwartet hätten.
Während der einjährigen Übereinkunft hatte die Ukraine fast 33 Millionen Tonnen an Nahrung verschifft. Es hätten wohl noch mehr sein können: Russland wurde vorgeworfen, im Rahmen der Vereinbarung vorgeschriebene Inspektionen durch alle Seiten verzögert zu haben. Jetzt sind die nicht mehr nötig, und das spart Kosten ein, wie etwa Osmatschko von der Agroprosperis Group sagt. Demnach haben die Verzögerungen bei den Inspektionen dem Unternehmen während des einjährigen Getreidedeals Verluste in Höhe von umgerechnet 27,4 Millionen Euro beschert.
Der Transport durch den neuen Korridor im Schwarzen Meer kostet die Firma zwischen 64 und 73 Euro pro Tonne. Vor der russischen Invasion zahlte sie 46 Euro, während der Export auf alternativen Routen seit dem Krieg - etwa auf dem Flussweg durch Europa - fast drei Mal so teuer war. Dem ukrainischen Agrarministerium zufolge ist es das Ziel, mindestens sechs Millionen Tonnen Getreide im Monat durch den neuen Korridor auszuführen. Ein ehrgeiziges Vorhaben: Im Oktober hatte es die Ukraine auf insgesamt 4,3 Tonnen gebracht - auf allen Routen zusammen.