Seit 60 Jahren ist Gerhard Schröder in der SPD und soll nun am Freitag nach anfänglichem Widerstand doch dafür geehrt werden. Ein Altkanzler, der mit sich und der Partei im Reinen ist – nur die nicht mit ihm. Manchmal geschehen noch kleine Wunder. Gerhard Schröder hat sich vor einiger Zeit mit Oskar Lafontaine getroffen, dem früheren Chef der SPD und dann der Linken, dem schärfsten Widersacher und Gegner in Schröders Kanzlerschaft. Ein gemeinsamer Freund der beiden alten Männer, der frühere Bundesbauminister Reinhard Klimmt, hatte das Treffen angeregt.
Es sei ein sehr netter Abend gewesen bei Oskar Lafontaine und dessen Frau Sahra Wagenknecht, berichtet Gerhard Schröder, der mit seiner Frau Soyeon Schröder-Kim ins saarländische Merzig aufgebrochen war. Man habe über internationale Politik geredet, so, als wäre nach 20 Jahren Funkstille nichts geschehen. "Die SPD und was die Vergangenheit betrifft, spielte überhaupt keine Rolle."
Das wird am Freitag nicht so sein. Denn in einer kleinen Feierstunde wird dem SPD-Mitglied Gerhard Schröder eine Urkunde überreicht und ein Parteiabzeichen ans Revers geheftet. "Ausführung vergoldet, Gelbgold 333er", schreiben die Richtlinien für die Ehrung für 60-jährige Mitgliedschaft in der SPD vor. 71 Genossinnen und Genossen des noch 22.500 Mitglieder umfassenden SPD-Bezirkes Hannover erhalten sie in diesem Jahr. Doch der 79-jährige Schröder dürfte wohl der umstrittenste Empfänger der Auszeichnung für 60 Jahre Treue sein. Denn wegen der Nähe zu Russlands Kriegszar Wladimir Putin hatten die Bundesparteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil Schröder, den ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten, Bundeskanzler und späteren Gazprom-Lobbyisten zur Persona non grata erklärt.
Versuche, den Altkanzler sogar aus der Partei zu werfen, scheiterten indes. "Es gibt zwei Schiedsurteile, die sich intensiv mit allen Argumenten befasst haben", sagt der SPD-Bezirksvorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, nur knapp. Deshalb werde er am Freitag die Urkunde und die Nadel überreichen: "Da sind unsere Statuten klar." Presseöffentlich wird der Termin in der hannoverschen Odeonstraße indes nicht sein, denn es hat im Vorfeld schon ziemlich viel Wirbel um die Ehrung eines Genossen gegeben, dem manche wegen seiner nie aufgekündigten Freundschaft zu Putin Ehrlosigkeit vorwerfen und ihn am liebsten vollständig aus der SPD-Historie verbannen wollten.
Der frühere hannoversche Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg und seine Frau Heidi Merk, die in den Neunzigerjahren unter Schröder niedersächsische Justiz- und Sozialministerin war, zählen nicht dazu. Deshalb haben sie sich angeboten, die Laudatio zu halten. Man müsse schon die 60-Jährige Lebensleistung Schröders betrachten, sagt Schmalstieg, der Schröder mehr als ein halbes Jahrhundert kennt – und mit ihm sowohl gemeinsam gekämpft als auch gestritten hat. Schmalstieg nennt vieles, was Schröder befördert (etwa die Weltausstellung in Hannover) oder verhindert habe (die Beteiligung Deutschlands am Irakkrieg etwa). Den ehemaligen Kanzler jetzt wie einen Aussätzigen zu behandeln, gehe gar nicht, sagt seine Frau Heidi Merk. "Wir haben in Niedersachsen mit ihm gut gelebt, und ich hoffe, dass auch er dazu beitragen kann, dass der furchtbare Ukrainekrieg schnellstmöglich beendet wird."
Schröder, von dem wir Anfang der Woche freundlich in seiner Anwaltskanzlei empfangen werden, hat das nach eigenem Bekunden zumindest versucht. Ernsthaft versucht, wie er betont, allerdings ohne ein Mandat der Bundesregierung. So reiste er Anfang März vergangenen Jahres, nachdem Putins Russland die Ukraine am 24. Februar 2022 mit einem Großangriff in die Knie zwingen wollte, in die Türkei.
Die Gespräche, die er unter anderem mit dem derzeitigen ukrainischen Verteidigungsminister Rustan Umjerow in Istanbul und später auch mit Putin in Moskau geführt habe, hätten leider zu keinem Ergebnis geführt, sagt Schröder. Sie seien allerdings geführt worden, bevor man von "den Ereignissen in Butscha" gewusst habe. In dem Vorort Kiews waren mehr als 400 Leichen gefunden worden, meistens Zivilisten, die erschossen, gefoltert oder erschlagen worden waren. Es habe in den Märztagen des vergangenen Jahres eine gewisse Chance gegeben, dass man sich auf ein Abkommen einige, sagt Schröder. Nach Rückkoppelung der ukrainischen Seite mit den Amerikanern ("das kann ich verstehen, das sind die größten Unterstützer") sei aber nichts mehr geschehen. Auch der russische Unterhändler und Oligarch Roman Abramowitsch habe sich nicht mehr gemeldet. Dabei habe er dem noch seine Handynummer gegeben, sagt Schröder.
Nun hofft er, dass irgendwann Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron eine Initiative zur Beendigung des Blutvergießens in der Ukraine starten. "Gerade jetzt, wo sich die gesamte Aufmerksamkeit in den Nahen Osten wendet, sollte man alles tun, den Brandherd in der Ukraine zu löschen", sagt der ehemalige Kanzler. Schröder betont, er habe schnell den "fatalen Angriff" auf die Ukraine verurteilt, doch habe dies in Deutschland niemand wahrnehmen wollen. Eine klare Verurteilung der Person Putins hört man dennoch nicht von ihm. Da werde er sich, der im nächsten Jahr 80 werde, auch nicht mehr ändern, hat er bereits in mehreren anderen Interviews gesagt. Man müsse mit Putin leben und wisse auch nicht, was nach dem russischen Präsidenten komme. Da kann man als fragendes Gegenüber nachbohren, wie man will.
Er bereue nichts, hat Schröder kürzlich der "Süddeutschen Zeitung" gesagt und damit die französische Chansonsängerin Edith Piaf zitiert. Die "Süddeutsche" erinnerte daran, dass Schröder selbst es keineswegs wie die sich selbst verzehrende Piaf ("Non, je ne regrette rien") gehalten habe, sondern eher wie Frank Sinatra, der breitbeinig immer seinen eigenen Weg gegangen sei ("I did it my way"). Das empfindet der ehemalige Politiker selbst auch so.
Die vollständige politische Isolation, in die ihn die Nähe zu Putin gebracht hat, mache ihm nichts aus, behauptet Schröder. Er brauche keine Nähe zur gegenwärtigen Führung der SPD, zumal er von der "Basis" bei Begegnungen mit Respekt empfangen werde, sagt er. Er habe im Übrigen immer "ein freundlich-ambivalentes" Verhältnis zur Partei gehabt und sich niemals etwas aufzwingen lassen wollen. Nur dass Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung öffentlich erklärt habe, ihm nicht mehr zum Geburtstag zu gratulieren, hat Schröder einen gehörigen Stich versetzt.
"Ich kann ja nachvollziehen, dass er sich aus staatspolitischen Gründen von mir distanziert, aber zu erklären, nicht mehr zum Geburtstag zu gratulieren, tut man nicht", sagt er nochmals. Und seine beim Gespräch anwesende Frau Schröder-Kim nickt. Das war wohl das Tüpfelchen zu viel für den Gemütsmenschen aus Hannover, der Einiges zur gegenwärtigen Politik zu sagen hätte, doch kaum noch ein Podium dafür bekommt.
Sahra Wagenknecht, die diese Woche die Gründung eines Vereins als Vorläufer ihrer neuen Partei erklärte, hält er übrigens "für eine überaus kluge Frau, die aber mit ihrer angestrebten neuen Partei auf einem falschen Dampfer ist. Der Versuch, Parteien neu zu gründen, ist im Nachkriegsdeutschland auf längere Sicht in der Regel schief gegangen", sagt Schröder. Bei dem Treffen im Hause Lafontaine, bei dem Oskar kochte, muss die Sahra sehr charmant gewesen sein. Ob die Feierstunde am Freitag der Auftakt zu einer Versöhnung mit dem Verfeindeten sein wird, erscheint indes fraglich.