Das US-Institut für Kriegsstudien ISW berichtete gestützt auf Videoaufnahmen, dass zumindest ukrainische Aufklärungstrupps den Dorfrand von Werbowe erreicht haben könnten. Bei Robotyne hatte die ukrainische Armee nach wochenlangen Kämpfen russische Verteidigungsanlagen überwunden. Auf dem Weg nach Werbowe liegt eine weitere Abwehrlinie. Die russischen Besatzungstruppen schützen mit mehreren solcher Befestigungen die Städte Tokmak und Melitopol. Strategisches Ziel der ukrainischen Armee ist das noch etwa 80 Kilometer entfernte Asowsche Meer, um für Russland den Landweg auf die Halbinsel Krim abzuschneiden.
Dem Generalstab zufolge setzten die ukrainischen Truppen auch südlich der russisch kontrollierten Stadt Bachmut ihre Angriffe fort. Dabei seien russische Gegenangriffe bei Staromajorske, Klischtschijiwka und Kurdjumiwka zurückgeschlagen worden.
Zuvor hatter der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba Kritik am Verlauf der Gegenoffensive seines Landes mit deutlichen Worten verurteilt. "Kritik am langsamen Tempo der Gegenoffensive zu üben, bedeutet, dem ukrainischen Soldaten ins Gesicht zu spucken, der jeden Tag sein Leben hingibt und Kilometer für Kilometer ukrainischen Boden befreit", sagte er Donnerstag am Rande eines EU-Außenministertreffens im spanischen Toledo. Er empfehle allen Kritikern, den Mund zu halten und in die Ukraine zu kommen. Sie sollten dann dort versuchen, selbst einen Quadratzentimeter zu befreien.
Unter anderem die "New York Times" hatte zuletzt berichtet, dass die ukrainischen Streitkräfte in der Gegenoffensive gegen die russischen Angreifer nach Einschätzung westlicher Militärstrategen zu weit verteilt aufgestellt seien. Um durchzustoßen, müssten sie sich entlang der Hauptfront im Süden konzentrieren, schrieb die Zeitung in der vergangenen Woche unter Berufung auf nicht namentlich genannte US- und andere westliche Beamte. Kiew habe zu viele Soldaten, darunter einige der besten Kampfeinheiten, an den falschen Orten stationiert. Vor allem aus diesem Grund habe das ukrainische Militär auch Schwierigkeiten, den russischen Verteidigungsgürtel zu durchbrechen.
Kuleba hat unterdessen Deutschland erneut zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern für den Kampf gegen Russland aufgerufen. "Es gibt wirklich kein einziges objektives Argument gegen diese Entscheidung", sagte Kuleba am Donnerstag am Rande eines EU-Außenministertreffens im spanischen Toledo, an dem auch seine deutsche Kollegin Annalena Baerbock (Grüne) teilnahm. Er rufe "die deutsche Regierung konstruktiv, freundlich und ohne Druck" auf, diese Entscheidung zu treffen. "Das ergibt Sinn, weil es unserer Gegenoffensive hilft und damit dazu beiträgt, den Krieg früher zu beenden", sagte Kuleba. Frankreich und Großbritannien lieferten bereits heute weitreichende Marschflugkörper.
Als Grund für die bisher ausgebliebene deutsche Entscheidung für Taurus-Lieferungen gelten Befürchtungen, dass die modernen Marschflugkörper von der Ukraine auch auf Ziele auf russischem Territorium abgefeuert werden könnten und dass Russland dann Vergeltung üben könnte. Es wird deswegen für möglich gehalten, dass sie vor einer Freigabe technisch so verändert werden sollen, dass sich Ziele in Russland mit ihnen nicht anfliegen lassen.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte in der vergangenen Woche im Deutschlandfunk zum Thema Taurus vage, es müssten noch "technische Details" geklärt werden. Es sei wichtig, nicht einfach etwas zu versprechen, "sondern dass das dann auch geliefert wird und funktioniert und dass die unterschiedlichen Systeme ineinandergreifen. Und das gilt jetzt auch für weitere Maßnahmen wie Marschflugkörper".
dp/fa