Beide Seiten haben sich die starken Emotionen zunutze gemacht, der am 7. Oktober letzten Jahres ausbrach. Bei dem Hamas-Angriff auf Südisrael wurden rund 1.300 Menschen – die meisten davon Zivilisten – getötet und etwa 240 weitere als Geiseln genommen. Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums wurden bei israelischen Vergeltungsangriffen auf Gaza mehr als 23.350 Menschen getötet – hauptsächlich Kinder und Frauen. Der von Südafrika vor den Internationalen Gerichtshof gebrachte Fall umfasste eine ganze Reihe mutmaßlicher israelischer Straftaten, von der wahllosen Tötung palästinensischer Zivilisten bis zur umfassenden Zerstörung der Infrastruktur von Gaza.
"Diese Tötung ist nichts weniger als die Zerstörung palästinensischen Lebens". Der israelische Krieg in Gaza dürfe nicht weitergehen, argumentierte das südafrikanische Team. "Ganze Generationen von Familien werden ausgelöscht", warnte die irische Rechtsanwältin Blinne Ní Ghrálaigh, "und noch mehr palästinensische Kinder werden WCNSF – Wounded Child No Surviving Family – das schreckliche neue Akronym, das aus dem Genozid Israels hervorgegangen ist."
Doch am Freitagmorgen holte Israel zum Gegenangriff aus, mit einer Mischung aus eigener Emotion und einem forensischen Angriff auf den südafrikanischen Vorwurf. Dem Gericht wurden Bilder von 132 vermissten Israelis vorgelegt, von denen die meisten immer noch in Gaza als Geiseln festgehalten werden. "Gibt es einen Grund, warum diese Menschen keinen Schutz verdienen", fragte Tal Becker, ein äußerst erfahrener Rechtsberater im israelischen Außenministerium, das Gericht. Becker und seine Kollegen äußerten sich scharf über die Vorwürfe Südafrikas und argumentierten, wenn jemand des Genozids schuldig sei, dann sei es die Hamas.
"Unter dem Deckmantel des Vorwurfs des Genozids gegen Israel, wird dieses Gericht gebeten, die Einstellung der Operationen gegen die anhaltenden Angriffe einer Organisation zu fordern, die eine tatsächliche genozidale Agenda verfolgt." Südafrika, so behauptet die israelische Seite, sei der Unterstützung der Hamas schuldig, einer Gruppe, die von 41 Ländern als Terrororganisation eingestuft wird.
Es wird voraussichtlich mehrere Jahre dauern, bis der IGH zu einem Urteil über den Vorwurf des Genozids gelangt. Genozid ist schwer zu beweisen. Es müssen überzeugende Beweise für die Absicht derjenigen vorliegen, die tatsächlich für den israelischen Militäreinsatz in Gaza verantwortlich sind, sowie ein Verhaltensmuster der israelischen Verteidigungskräfte, das vernünftigerweise nicht als etwas anderes als Genozid erklärt werden kann. In diesem Fall ging es "nur" um Genozid, nicht darum, ob in Gaza Kriegsverbrechen begangen wurden oder ob Israel an ethnischen Säuberungen beteiligt ist.
Israel reagiert mit seinen Einsätzen auf das schlimmste Massaker in seiner Geschichte. Am 7. Oktober töteten Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen in Israel mehr als 1200 Menschen. Israel geht davon aus, dass noch 136 Geiseln im Gazastreifen festgehalten werden. 25 davon sind vermutlich nicht mehr am Leben.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte sich bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dafür bedankt, dass Deutschland die Genozid-Klage Südafrikas gegen Israel entschieden zurückgewiesen hat. Alle Israelis seien zutiefst bewegt, dass sich der Bundeskanzler und Deutschland "auf die Seite der Wahrheit gestellt" haben, sagte Netanjahu in einem Telefonat mit Scholz, wie das israelische Ministerpräsidentenamt am Freitagabend mitteilte. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte den Genozid-Vorwurf gegen Israel am Freitag ausdrücklich und entschieden zurückgewiesen. "Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage", sagte er.