Mohammed M., ein 20-jähriger Tschetschene, griff dort mit einem Messer mehrere Menschen an, tötete dabei einen Lehrer und verletzte zwei weitere Männer, einen davon schwer. "Allahu Akbar", arabisch für "Gott ist groß", hörten Zeugen M. rufen, der der Polizei wegen Radikalisierung bekannt war. Ein Handyvideo, das in den sozialen Netzwerken zirkuliert, zeigte ihn, wie er auf dem Schulhof bedrohliche Gesten gegen mehrere Personen machte, die ihn mit einem Stuhl abzuwehren versuchten. Er wurde festgenommen, die Staatsanwaltschaft für Terrorismusbekämpfung nahm Ermittlungen auf.
Den getöteten Kollegen habe er flüchtig gekannt, sagt Fabien Dufay. Wie er sich jetzt fühle? "Man fragt sich, wie man sich auf den Beinen halten soll." Er sehe die Angst in den Augen seiner Schüler. Alle, Jugendliche, Eltern wie Lehrer, stünden unter Schock. Einmal wieder.
Vor genau drei Jahren, am 16. Oktober 2020, ermordete ein Islamist in der Pariser Vorstadt Conflans-Sainte-Honorine den Lehrer Samuel Paty auf dem Heimweg von der Schule. Im Vorfeld war Paty Opfer einer Hetzkampagne im Internet geworden, nachdem er in einem Kurs über Meinungsfreiheit Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte. Sein Mörder, ebenfalls ein in Frankreich lebender, radikalisierter Tschetschene, erfuhr über die sozialen Medien davon, reiste aus einer anderen Stadt an, bezahlte Schüler, damit sie ihm Samuel Paty zeigten. Das Attentat erschütterte die französische Lehrergemeinschaft zutiefst.
"Der Horror wiederholt sich", sagte Didier Georges, Mitglied der Gewerkschaft von Schuldirektoren, am Freitag. Ein großer Schulkomplex wie das Gambetta-Gymnasium, in dem es ein ständiges Kommen und Gehen gebe, sei schwer abzuriegeln. Nach der Messerattacke verhängt Frankreich die höchste Terrorwarnstufe. In der aktuellen Lage und nach dem Terroranschlag in Arras habe sie beschlossen, die höchste Warnstufe "Notfall Attentat" zu verhängen, teilte Premierministerin Élisabeth Borne am Freitagabend mit.
Die Stufe "Notfall Attentat" kann unmittelbar nach einem Anschlag oder wenn eine identifizierte und nicht lokalisierte terroristische Gruppe aktiv wird, eingerichtet werden. Die höchste Warnstufe wird für einen begrenzten Zeitraum eingerichtet - und zwar für die Zeit des Krisenmanagements. Sie ermöglicht insbesondere die außergewöhnliche Mobilisierung von Mitteln, aber auch die Verbreitung von Informationen, die die Bürger in einer Krisensituation schützen können, teilte die französische Regierung mit.
Die Hintergründe der gestrigen Tat blieben zunächst unklar. Bekannt wurde, dass es sich bei dem mutmaßlichen Angreifer um einen ehemaligen Schüler der Einrichtung handelt, der dort bereits wegen seinen radikalen Einstellungen aufgefallen war. Erst am Donnerstag soll er laut Ermittlerquellen kontrolliert worden sein.
Er wurde vom Inlandsgeheimdienst überwacht und abgehört. Doch er habe das Profil einer "radikalisierten Einzelperson, deren Gefahrenpotenzial bekannt ist, doch die sich plötzlich zur Tat entscheidet", zitierte die Zeitung "Le Monde" eine polizeiliche Quelle. Nach dem Attentat kam auch sein jüngerer Bruder in Untersuchungshaft, der wegen Zugehörigkeit zu einer Terrorvereinigung verurteilt worden war.
Ob die Tat im Zusammenhang mit dem Krieg in Israel steht, müssen Polizeiquellen zufolge die Ermittlungen erst zeigen. Tatsächlich wird ein Überschwappen des Nahostkonfliktes befürchtet. In Frankreich lebt die größte jüdische Gemeinschaft Europas, das Land zählt zugleich die meisten Muslime. Medienberichten zufolge herrschte im Innenministerium große Besorgnis angesichts einer "Atmosphäre, die Einzeltaten zuträglich sein könnte". Erziehungsminister Gabriel Attal ordnete unmittelbar Maßnahmen zur Verstärkung der Sicherheit aller Schulen an. Auch jüdische Einrichtungen und Synagogen werden seit Wochenbeginn verschärft überwacht. Propalästinensische Demonstrationen sind verboten. Darüber setzten sich am Donnerstag allerdings Hunderte Menschen hinweg, in Paris löste die Polizei eine unerlaubte Kundgebung mit Wasserwerfern auf.
Kurz zuvor hatte Präsident Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache die Angriffe der Hamas als "Barbarei" bezeichnet und Israel das Recht auf Verteidigung zugestanden, verknüpft mit der Mahnung, "gerecht" zu bleiben und Zivilisten zu verschonen. Das Ziel müsse Frieden sein, so Macron, der die Menschen dazu aufrief, "eins zu bleiben". Am Folgetag kam es zu der Horrortat.