Besonders deutlich fällt die Kritik von der europäischen Handelskammer aus: Vize-Präsident Carlo D‘Andrea bezeichnete die Import-Expo als "politisches Schaufenster", das vor allem Marketing-Zwecken dienen würde. Keine andere Wirtschaftsmacht verzeichnet einen derart unausgeglichenen Außenhandel wie China. Seit Jahrzehnten erzielt die Volksrepublik eklatante Handelsüberschüsse, die insbesondere während der Pandemie alle Rekorde gebrochen haben. Anders ausgedrückt: China überschwemmt die Märkte mit heimischen Produkten, während die 1,4 Milliarden Konsumenten verhältnismäßig immer weniger aus dem Ausland kaufen.Tatsächlich stellt die Volksrepublik 18 Prozent der weltweiten Wirtschaftsproduktion her, generiert jedoch gleichzeitig nur 13 Prozent des globalen Konsums.
Insbesondere die europäische Union, Chinas wichtigster Handelspartner, leidet unter dem zunehmenden Ungleichgewicht. Die Zahlen sind geradezu erdrückend: Derzeit exportiert Peking nahezu viermal mehr in die EU, als es aus der EU importiert. Das Defizit der Europäer beläuft sich auf knapp 400 Milliarden Euro pro Jahr.
Mit der 2018 ausgerufenen Import-Expo in Shanghai will die chinesische Regierung der Außenwelt zeigen, dass man das Problem ernst nimmt. Allein dieses Jahr nehmen laut Angaben der Organisatoren 289 der 500 größten Unternehmen der Welt an der Messe teil, um für höhere Marktanteile auf dem chinesischen Markt zu werben. Und entgegen der politischen Rhetorik ist auch die US-Wirtschaft zahlenmäßig stark vertreten. Doch die Import-Expo wird wohl kaum für ausgeglichenere Handelsbeziehungen sorgen. Denn die Ursachen liegen viel tiefer – und werden auch von vielen Ökonomen missverstanden. Nach wie vor nämlich interpretieren sie die Handelsüberschüsse als Stärke der chinesischen Volkswirtschaft.
Tatsächlich jedoch sind sie ein Symptom ihrer Schwäche: In gesunden Volkswirtschaften würden die Einnahmen nämlich unweigerlich in höheren Löhnen und schlussendlich steigenden Importen münden. In China hingegen passiert nahezu das Gegenteil: Trotz Rekord-Exporten stagnieren die Einfuhren. Das Problems ist struktureller Natur. In keiner anderen Wirtschaftsmacht der Welt ist der Anteil der Privathaushalte am Bruttoinlandsprodukt derart niedrig wie in China. Durch künstlich niedrig gehaltene Löhne und nur rudimentäre Sozialsysteme bleibt der Bevölkerung – relativ gesehen – wenig verfügbares Einkommen über. Dementsprechend sind ihre Konsumausgaben, anteilig am BiP, mit 38 Prozent deutlich niedriger als in den USA (68 Prozent), Japan (56 Prozent) oder auch Deutschland (etwa 52 Prozent).
Insbesondere seit Ende der "Null Covid"-Politik fordern zunehmend Wirtschaftsexperten im In- und Ausland, dass die Regierung ein massives Stimulus-Paket schüren müsse, um den Konsum wieder anzutreiben. Auch mittelfristig wäre dies der einzige Weg, wie China die Transformation von einer rein Investment-getriebenen Volkswirtschaft hin zum konsumgetriebenen Wachstum vollbringen könnte. Warum das bislang nicht passiert, hat jedoch vor allem politische Gründe: Damit die Haushalte einen größeren Stück vom Kuchen erhalten, müsste die Regierung zwangsweise einen Teil ihrer finanziellen Ressourcen – und damit schlussendlich auch ihrer politischen Macht - abgeben.
"Xi Jinping will gar nicht zu viel Konsum. Er glaubt, dass es den Menschen besser geht, wenn sie sich abmühen und ein hartes Leben führen", sagt der renommierte Ökonom und jahrzehntelange China-Kenner Barry Naughton. Die Schlussfolgerung des Professors an der University of California: Xi möchte zwar die Leute aus der Armut holen; doch dass sie auch reich werden, ist in seiner Vision von einem modernen, sozialistischen Staat nicht vorgesehen.
Was nach einer kühnen These klingt, behauptet der KP-Parteivorsitzende selbst höchst unverblümt in seinen Reden: Darin fordert Xi regelmäßig das Volk dazu auf, sprichwörtlich "Bitterkeit zu essen" und sich auf schwere Zeiten einzustellen. Gleichzeitig kritisiert er Wohlfahrtsstaaten nach europäischem Vorbild als dekadent, weil sie die Leute "faul" machen würden.
Post- und Büroanschrift Malta - die klevere Alternative
Von der politischen Warte des 70-Jährigen macht eine solche Sichtweise durchaus Sinn. Haben die Chinesen erstmal ihre grundlegenden Bedürfnisse im Alltag befriedigt, steigt nämlich auch ihr Drang nach Selbstverwirklichung und politischer Teilhabe. Nirgendwo lässt sich das deutlicher sehen als in Shanghai, Chinas wohlhabendster und Konsum-orientierter Stadt.
Dort zeigt die Bevölkerung trotz der flächendeckenden Repressionen immer wieder Züge der Rebellion. Beim Halloween-Fest vor wenigen Tagen zogen etliche junge Menschen in provokanten Kostümen durch die Straßen der französischen Konzession: Manche Shanghaier hüllten sich etwa in weiße Seuchenschutzanzüge, um die radikalen Lockdowns des Vorjahrs anzuprangern. Ein anderer Teilnehmer verkleidete sich als personifizierte Überwachungskamera. Und mindestens eine Frau klebte sich dutzende weiße Blätter auf ihren Körper - das Symbol der Anti-Regierungsproteste vom letzten Dezember.