Dass zu dieser Jahreszeit mehr Menschen krank sind, ist nicht ungewöhnlich. "Der Herbstanfang bedeutet für uns immer eine deutliche Zunahme von Infektfällen", sagt Nicola Buhlinger-Göpfarth, Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Das hat gleich mehrere Gründe. Zum einen ist der Körper bei niedrigen Temperaturen grundsätzlich anfälliger für Virusinfekte. Gleichzeitig halten wir uns wieder mehr in Innenräumen auf, wo wir mit anderen Menschen in Kontakt kommen – das Infektionsrisiko steigt.
Zum anderen beginnt im Herbst für gewöhnlich die Grippesaison. Das bedeutet eine hohe Aktivität der Influenzaviren, die die "echte" Grippe verursachen. Die Viren haben schon in vergangenen Wintern die Krankheitszahlen steigen lassen. Und dann ist da noch das Coronavirus Sars-CoV 2, das in den kalten Monaten bekanntlich auch für mehr Infektionen sorgt. Doch eines fällt bei den RKI-Daten besonders auf: Die Inzidenz der Atemwegserkrankungen ist zum jetzigen Zeitpunkt so hoch wie schon seit Jahren nicht mehr. In der vergangenen Woche zählte die Behörde etwas mehr als 8500 akute Atemwegserkrankungen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner.
Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es um diese Zeit etwa 6300 Fälle. Und auch einige Jahre zuvor, im Jahr 2011, waren es nur rund 6400 Atemwegserkrankungen. Coronavirus breitet sich wieder vermehrt aus. "Unsere Praxen arbeiten schon wieder auf Hochtouren – und das, obwohl die Grippewelle erwartungsgemäß erst noch ansteht", berichtet Buhlinger-Göpfarth. Tatsächlich sind Influenzaviren zuletzt so gut wie gar nicht in den positiven Proben aufgetaucht, die das RKI erfasst hat. Sie können also als Verursacher der aktuellen Krankheitswelle ausgeschlossen werden.
Den Grund für die vielen Atemwegsinfektionen liefert das Coronavirus. "Die ARE-Aktivität (ARE steht für Akute respiratorische Erkrankung, Anm. d. Red.) wird neben den für die Jahreszeit typischen Atemwegsinfektionen durch Erkältungsviren durch die seit der 27. Kalenderwoche kontinuierlich steigende Zahl von Sars-CoV‑2-Infektionen und Covid‑19- Erkrankungen verursacht", schreibt das RKI in seinem Wochenbericht.
Das Coronavirus sorgt zurzeit für die meisten Atemwegserkrankungen. In den positiv auf Viren getesteten Proben fand sich das Coronavirus vergangene Woche 39‑mal. Dicht gefolgt von den Rhinoviren, die 37 positive Proben ausmachten. Diese Virenart verursacht in etwa die Hälfte aller Erkältungen. Beide Erregertypen nennt auch Buhlinger-Göpfarth als Grund für das hohe Arbeitspensum in den Hausarztpraxen. Das Coronavirus kommt als weiterer krankmachender Erreger in der Wintersaison hinzu. Deshalb verwundert es nicht, dass die Krankheitszahlen jetzt höher sind als in Jahren, in denen das Virus noch nicht kursierte.
Zudem ist dieser Winter der erste, in dem es keine Corona-Schutzmaßnahmen gibt. Kontaktbeschränkungen sind weg, die Maskenpflicht im öffentlichen Raum ist komplett abgeschafft. Damit hat es das Coronavirus leichter, Menschen zu infizieren, es kann sich besser verbreiten. Buhlinger-Göpfarth hat aber auch gute Nachrichten: "Glücklicherweise verlaufen die Erkrankungen aktuell bis auf wenige Ausnahmen eher mild."
Die Hausärztin beobachtet noch einen anderen Trend, der die erhöhten Meldezahlen bei den Atemwegsinfekten erklären könnte: "Wir erleben, dass viele Patientinnen und Patienten nach der Pandemie umsichtiger geworden sind – sich selbst wie auch anderen gegenüber." Bedeutet: Mehr Menschen stellen sich mit Symptomen beim Arzt vor, melden sich krank und gehen ins Bett statt ins Büro. "Das ist aus medizinischer Sicht auch sinnvoll."